Dienstag, 19. September 2023

Requiem for Mostly Mozart – Mein Kommentar

 Das Ende des Mostly Mozart Festivals, das Kulturkritiker Alex Ross in seinem neuesten Artikel „Requiem for Mostly Mozart“ im New Yorker beschreibt, zeigt die großen Herausforderungen, denen sich Kulturmanager:innen heute stellen müssen. Dem Elitismus der klassischen Musik zugunsten dem unbekannten Neuen abdanken, das gilt an diesem Beispiel inhaltlich sowie organisatorisch. Und nach Meinung von Alex Ross wird in New York mit den besten Intentionen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Die Organisatoren des Festivals, der Lincoln Center for the Performing Arts Präsident und CEO, Henry Timms, und die künstlerische Leiterin, Shanta Thake, wollen mit der Neuausrichtung des Festivals gleichzeitig die Vergangenheit aufarbeiten und Zukunft gestalten. Den modernen Fassaden des Lincoln Centers mussten Ende der 50er Jahre die mehrheitlich puertorikanischen, afrokaribischen und afroamerikanischen Bewohner des Viertels weichen. In den neuen Gebäuden wurden u.a. die Metropolitan Opera, die New Yorker Philharmoniker, das New York City Ballet und die Juilliard School ansässig – eine klare Ansage, welche Kultur dominiert und welches Publikum bevorzugt wurde. Unter dem Titel „Summer in the City“ wurde jetzt ein neues Festival ins Leben gerufen, das zeitgenössische Kunstformen für ein viel breiteres Publikum in den Mittelpunkt rückt. Auf dem Programm stehen Hip-Hop, das Criminal Queerness Festival, die Serie Cultivating Access Ecologies, Korean Arts Week, social sculpture interventions, der Big Umbrella Day mit einem Programm für neurodiverses Publikum, Standup Comedy, Computerspiele, Kopfhörer Parties und eine LGBTQIA+ Mariachi Band. Vom „Mostly Mozart“ Festival, das einst 7 Wochen andauerte, blieben 13 Konzerte in 3 Wochen. Ab 2024 sollen die klassischen Konzerte mit einem neuen Musikdirektor und mit neuem Namen weiterhin in das „Summer in the City“ integriert sein.

Das Festival Orchester, ursprünglich geschaffen, um freiberuflichen New Yorker Musiker:innen eine Sommerbeschäftigung zu verschaffen, bleibt bestehen. Inzwischen spielen dort Musiker:innen der namhaftesten amerikanischen Orchester, der Metropolitan Opera, dem New York Philharmonic, Orpheus Chamber Orchestra, Pittsburgh, St. Louis und Cincinnati Symphony Orchestra. Dieses Wachstum lässt sich seit der Gründung im Jahr 1966 auch in den anderen künstlerischen Bereichen und dem Management verfolgen. Und das bringt ein entsprechendes Budget, organisatorischen Aufwand und Verantwortung mit sich. Warum dies alles für eine Zielgruppe aufwenden? Die strategische Antwort lautet: Kernprodukt verschlanken und diversifizieren. Mit dieser Strategie geht New York voran und setzt gesellschaftspolitische Themen wie Vielfalt, Teilhabe, Zugang und kulturelleGerechtigkeit um.

Als Leitidee für die Neugestaltung des Festivals, dienten folgende Fragen, wie Shanta Thake der New York Times mitteilte: „Was haben wir ausgelassen? Welche Geschichten erzählen wir nicht, die in diesem Moment erzählt werden wollen?“ Die Antwort in diesem Jahr ist die kulturelle Repräsentation aller erdenklicher Gruppen, die bisher ausgelassen wurden sowie Themen, die z.Zt. einen unglaublichen Hype erfahren. Was mir auf den ersten Blick fehlt, ist der künstlerische Fokus in einem Programm, das sich nach „Alles für Alle“ liest. Selbst das Stiefkind „Mostly Mozart“ wurde noch integriert. Kann man all diesen Gruppen und Themen, die in der Tat viel Aufmerksamkeit verdienen, gerecht werden? Und funktioniert das neue Programm im Lincoln Center, der dezidierten Stätte europäisch-stämmiger Hochkultur? In seinem Artikel kommentiert Alex Ross: „Wenn die Menschen einen Ausflug zur Ecke Broadway und 65. Straße machen, suchen sie sicherlich nicht nach einer unbeholfenen Umsetzung von Kulturen, die anderswo in der Stadt in authentischerer Form existieren.“

Noch ist der Abschied vom Mostly Mozart Festival halbherzig. Das teure Orchester bleibt, ein neuer Musikdirektor wurde rasch gefunden. Versuchshalber wurden „Pay what you can“-Eintrittspreise ins Leben gerufen, Preisempfehlung 35 Dollar. Das klingt für neues Publikum nicht wirklich günstig und wenn man den kleinsten Preis bezahlt (5 Dollar), fühlt man sich schlecht.    

Die Neuausrichtung des Festivals ist ein Versuch, vielleicht in diesem Jahr noch zu sehr ein Kompromiss. Aber so ist das, wenn aus dem Alten das Neue hervortreten soll. Bei Kultureller Führung, so Graham Leicester, geht es weniger ums Führen, sondern mehr um die Führung von Kultur, die kreative Überschreitung der vorherrschenden Kultur. Und das braucht kreative Grenzüberschreitungen und Langzeit Perspektiven.

Anders als Alex Ross, der als Kulturkritiker den Untergang seines Betrachtungsgegenstands beobachtet, glaube ich, dass hier ein mutiger und richtiger Weg eingeschlagen wurde, so dass Vielfalt, Teilhabe, Zugang und kulturelle Gerechtigkeit umgesetzt werden können. Ich bin an der Langzeit Perspektive dieses Festivals, das zentrale Themen unserer Zeit umsetzt, vor allem aber an seinem Erfolg interessiert. Die klassischen Konzerte werden innerhalb des Festivals eine kleinere Rolle spielen und ich finde, das darf so sein.

P.S. Eine in diesem Zusammenhang interessante Kulturmanagement Personalie: Louis Langrée, Leiter des Mostly Mozart Festivals, verlässt nach 20 Jahren das Festival und nach 11 Jahren das Cincinnati Symphony Orchestra und wechselt von einer künstlerischen zu einer Kulturmanagement Position als Leiter der Opéra Comique nach Paris. Wie dieser Wechsel gelingt, davon werde ich berichten.