Sonntag, 8. September 2024

Audience Development: Wie das New York City Ballett deutlichen Zuwachs beim jüngeren Publikum verzeichnet

Jahrzehntelang galt im Kulturbetrieb für das Audience Development auf keinen Fall, die heilige Kuh, das traditionelle Kulturprodukt auf der Bühne oder im Ausstellungsraum zu schlachten. Mit Marketingmaßnahmen allein, sollte das Besuchserlebnis so umgestaltet werden, dass sich an Kunst und Ritual nichts ändern musste. Dem New York City Ballett (NYCB) ist jetzt gelungen, aus einem Dreiklang von Marketingmix, Führungskultur und Programmänderung wirklichen Wandel herbeizuführen.

Die Zahlen sprechen für sich: Das Durchschnittsalter der Besucher:innen ist in den letzten fünf Jahren deutlich gesunken. Die primäre Bevölkerungsgruppe hat sich von Personen in den Sechzigern zu Personen in den Dreißigern verschoben.

Im Jahr 2023 waren 53 % der Ticketkäufer unter 50 Jahre alt, wobei die Altersgruppe der 30-Jährigen die größte Altersgruppe darstellte. Dies stellt eine deutliche Veränderung gegenüber 2018 dar, als nur 41 % der Ticketkäufer unter 50 Jahre alt waren und die Mehrheit in den Sechzigern.

Zu den Erfolgsfaktoren gehören in diesem Fall auch die Anpassung des traditionellen Marketingmix: In der Kommunikationspolitik etwa ein verstärktes Engagement über soziale Medien – sowohl über den offiziellen Account des Balletts als auch über einzelne Tänzer:innen (für Authentizität). Neu in der Preisstrategie ist das „30 für 30“-Programm, das Personen unter 30 Jahren Eintrittskarten im Wert von 30 US-Dollar anbietet. Es wuchs von 1.800 Mitgliedern vor der Pandemie auf heute 14.000 Mitglieder.

Der Übergang von einem einzelnen künstlerischen Leiter zu einem Duo war ein wesentlicher Faktor für die Anziehung eines jüngeren Publikums. Vor fünf Jahren ernannte das NYCB Jonathan Stafford und Wendy Whelan zur gemeinsamen künstlerischen Leitung und leitete damit einen bemerkenswerten Wandel in der Unternehmenskultur ein. Insider beschreiben eine integrativere und unterstützendere Atmosphäre und eine Abkehr von der Ära, in der eine maßgebliche Persönlichkeit dominierte. Stafford und Whelan haben jährliche Besprechungen mit jeder Tänzer:in eingeführt und mehr Wert auf das allgemeine Wohlbefinden gelegt, einschließlich Verletzungsprävention, gesunder Ernährung und Bewusstsein für psychische Gesundheit. Diese Führungskultur scheint extern auszustrahlen.

In New York wurde aber bei Kommunikation und Leadership nicht halt gemacht. Auch die heilige Kuh, das Programm, wurde angefasst. NYCB hat sein Repertoire diversifiziert, indem es Kooperationen zwischen jungen Choreograf:innen und Künstler:innen aus verschiedenen Bereichen in Auftrag gegeben hat, wodurch die kulturelle Relevanz und die kulturelle Relevanz und Attraktivität seiner Aufführungen gesteigert wurde. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit hochkarätigen Künstler:innen wie der Musikerin Solange, die 2022 eine Ballettmusik für die 23-jährige Choreografin Gianna Reisen komponierte.

Sichtbar wird der Wandel mit der Steigerung der ethnischen Vielfalt innerhalb des Balletts gemacht. Kürzlich waren India Bradley und die Gastkünstlerin Alexandra Hutchinson vom Dance Theatre of Harlem die ersten schwarzen Tänzerinnen, die die Rolle des Tautropfens in „Der Nussknacker“ spielten. Das NYCB beabsichtigt, in Zukunft eine Schwarze Zuckerfee zu besetzen. Derzeit identifizieren sich 26 % der NYCB-Tänzer:innen als People of Color (PoC), ein deutlicher Anstieg gegenüber 13 % vor einem Jahrzehnt. In den letzten sechs Jahren haben Stafford und Whelan zwölf Ballette bei PoC Choreografen in Auftrag gegeben.

Nicht allein mit Marketingmaßnahmen, die wie in anderen Fällen ein traditionelles Produkt unangetastet ließen, wurde hier ein Wandel herbeigeführt. Änderungen in der Führungskultur und ein Programm, das Vielfalt sichtbar macht, haben hier in der Innen- und Außenwahrnehmung des Balletts zum gewollten Wandel in der Publikumsstruktur geführt.

Montag, 15. Juli 2024

Governance: Brauchen wir ein Statement?

Deutsche Kulturinstitutionen geraten zunehmend unter Druck (Stichwort „Strike Germany“), sich im aktuellen Israel-Gaza-Konflikt zu positionieren. Für das Selbstverständnis vieler Kultur- und Bildungsinstitutionen als Orte des offenen Diskurses ist das eine große Herausforderung. Wie man mit dem Bemühen, in diesem Konflikt Meinungsfreiheit zu gewährleisten, scheitern kann, zeigt der Rücktritt zweier Präsidentinnen US-amerikanischer Universitäten.

Kulturmanager:innen, deren tägliche Arbeit der Spagat zwischen Inhalt und Management ist, kommt hier in einer vermittelnden Position eine besondere Bedeutung zu. Die Spannungen fangen ja oftmals bereits innerhalb der Organisationen an. Deshalb ist es wichtig, Klarheit über Werte und Ziele der Organisation zu schaffen, bevor öffentliche Antworten formuliert werden.

Unter dem Eindruck der aktuellen Proteste zum Israel-Gaza-Konflikt an US-amerikanischen Universitäten schlägt Autor Seth Chalmer im Stanford Social Innovation Review vor, dass Organisationen ihre Haltung, Toleranzspanne und Interessensvertretungsstrategie für jedes Thema definieren und die ideologische Vielfalt innerhalb ihrer Teams normalisieren müssen, um einen produktiven Dialog zu fördern.

Der konstruktive Umgang mit internen Meinungsverschiedenheiten ist für die Aufrechterhaltung der Organisationsgesundheit trotz externem Druck von größter Bedeutung. Denn „in einer Welt politischer Unruhen, Kulturkriege und buchstäblicher Kriege hängt die Gesundheit unserer Organisationen davon ab, dass wir diese Arbeit gut machen. Wenn wir die Fähigkeit vernachlässigen, intern bei wichtigen Differenzen zusammenzuarbeiten, werden unsere Organisationen in so große Schwierigkeiten geraten, dass das, was wir in der Öffentlichkeit sagen oder nicht sagen, unsere geringste Sorge ist“, fasst Chalmer als Handlungsempfehlung zusammen.

Samstag, 27. April 2024

Fundraising Trend: Trust-based Philanthropy

Trust-based philanthropy (vertrauensbasierte Philanthropie) wurde in der Pandemie zum Fundraising Trend in den USA, als Spender:innen und Stiftungen die Arbeit von gemeinnützigen Organisationen schnell und unkompliziert unterstützen wollten. Jenseits von strengen Förderkriterien oder Erfolgskontrolle werden oftmals erhebliche Summen gegeben, die nach Ermessen der Empfänger:innen an den Stellen eingesetzt werden können, wo es am nötigsten scheint – in Overhead oder Programmkosten bis hin zu Investments. In wenigen Jahren hat sich daraus ein prominenter alternativer Ansatz zu traditionellen Spendenmodellen entwickelt, bei dem Vertrauen und Autonomie gegenüber strengen Richtlinien und Kontrolle im Vordergrund stehen.

Während das Modell in den letzten Jahren als Möglichkeit, Machtdynamiken zu verändern und effektiveres Spenden zu fördern, an Popularität gewonnen hat, gibt es erste Erfahrungen zu den Schwachstellen des Modells:

Mangel an Verantwortlichkeit

Das Vertrauensbasierte Philanthropiemodell kann unbeabsichtigt Transparenz untergraben und die Bewertung von philanthropischen Auswirkungen einschränken, da es auf strenge Berichtspflichten und Leistungskennzahlen verzichtet.

Verschleierte Machtdynamiken

Vertrauensbasierte Philanthropie birgt das Risiko, dass trotz der Absicht zur Partnerschaft asymmetrische Machtdynamiken fortbestehen, wodurch Geber:innen erheblichen Einfluss auf Finanzierungsentscheidungen und Strategien haben und so bestehende Ungleichheiten verstärken und die Handlungsfähigkeit der Empfänger:innen einschränken können.

Stagnation des Fortschritts

Ohne angemessene Kontrolle kann freizügiges Geben dazu führen, dass schwache Organisationen ohne strenge Standards weiterbestehen, was den Fortschritt im gemeinnützigen Sektor hemmen kann.

Vertrauensbasierte Philanthropie kann effektiv sein, wenn sie mit Rechenschaftspflicht in Einklang gebracht wird, da der Aufbau von Vertrauen und starken Beziehungen zu einer offeneren Kommunikation, Zusammenarbeit und besseren Ergebnissen führen kann, doch es bedarf sorgfältiger Überlegungen zur Bewältigung potenzieller Fallstricke, um ihre maximale Wirkung sicherzustellen.

Zusammenfassend bietet vertrauensbasierte Philanthropie eine überzeugende Vision für die Umgestaltung der philanthropischen Praxis, erfordert jedoch von Kulturmanger:innen eine gründliche (Selbst-)Kritik und Analyse, um sicherzustellen, dass ihre Umsetzung ethisch und effektiv ist, um tatsächlich zur kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung philanthropischer Ansätze beitragen zu können.

Freitag, 26. Januar 2024

Uncharitable – Was ist Erfolg in der Gemeinnützigkeit?

Unsere Denkweise über Wohltätigkeit ist grundverkehrt

Im Herbst ist in den US-amerikanischen Kinos der Film "Uncharitable" von Dan Pallotta angelaufen, der auf seinem gleichnamigen Buch von 2008 "Uncharitable: How Restraints On Nonprofits Undermine Their Potential" und seinem TEDTalk von 2013 "Unsere Denkweise über Wohltätigkeit ist grundverkehrt" basiert. Im Kern kritisiert Pallutta, dass die Standards, die für Nonprofits gelten, kontraproduktiv sind.

In "Uncharitable" geht Pallotta auf die Herausforderungen und Einschränkungen ein, mit denen gemeinnützige Organisationen aufgrund gesellschaftlicher Wahrnehmungen und Einschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit konfrontiert sind. Er argumentiert, dass die Art und Weise, wie die Gesellschaft gemeinnützige Organisationen betrachtet und reguliert, deren Fähigkeit beeinträchtigt, eine signifikante und dauerhafte Wirkung zu erzielen. Pallotta plädiert für einen rationaleren und unterstützenderen Ansatz gegenüber gemeinnützigen Organisationen und betont die Notwendigkeit, in deren Wachstum, Innovation und langfristige Ziele zu investieren.

Pallotta untersucht verschiedene Aspekte dieses Problems, darunter die unrealistischen Erwartungen an gemeinnützige Organisationen, die Besessenheit von niedrigen Gemeinkosten („Overhead Myth“), die Risikoscheu des Sektors und die Bedeutung einer genauen Wirkungsmessung. "Uncharitable" fordert einen Wandel im Denken und in der Politik, damit gemeinnützige Organisationen gedeihen und ehrgeizige Ziele effektiv verfolgen können.

Don´t ask about the scale of their overhead, ask about the scale of their dreams

Konkret fordert Pallotta, gemeinnützige Organisationen nicht anhand Ihrer geringen Overhead-Kosten zu bewerten, sondern an der Erreichung Ihrer Ziele. Die Gegenüberstellung von Aufwand und Nutzen, Einnahmen und Ausgaben zugunsten des gemeinnützigen Zwecks hat sich bis in jeden Jahresbericht deutscher Kulturinstitutionen durchgesetzt. Pallotta plädiert dafür, den tatsächlichen Erfolg einer Organisation an der Umsetzung ihrer Ziele zu messen. Während es für Unternehmen akzeptabel ist, Gewinne zu erzielen und in Wachstum zu investieren, wird von gemeinnützigen Organisationen erwartet, dass sie die Gemeinkosten minimieren, was zu begrenzten Ressourcen für ihre Missionen führt.

The nonprofit sector is the place where you can experiment and make creative things

Gemeinnützige Organisationen als Orte mit Visionen, Orte des Experimentierens und der Kreativität. Für Pallotta bedeutet das, mutig zu investieren – in die Menschen zu investieren. Dies bedeutet für ihn vor allem eine größere Wettbewerbsfähigkeit von gemeinnützigen Organisationen. Denn diese sollten soziale Unternehmen sein, mit der Betonung auf Unternehmen.

Aus deutscher Perspektive lesen sich Pallottas Forderungen wie das Manifest eines Super-Kapitalisten, der für gemeinnützige Organisationen denselben wirtschaftlichen Spielraum von Unternehmen unter Beibehaltung der Steuerprivilegien einfordert. Trotzdem spricht er wesentliche Punkte an, über die es sich nachzudenken lohnt. Wer schon einmal einen öffentlichen Förderantrag verwaltet hat, weiß, wie mit Zahlen geschoben wird, nur um Fixkosten irgendwo unterzubringen und irgendwie ins Raster zu passen. Keine Kulturinstitution wagt, die wahren Kosten aufzudecken. Und viele Menschen, die wir gerne als Führungskräfte einstellen würden, sitzen ehrenamtlich im Vorstand, Aufsichtsrat oder Kuratorium. Der Wirtschaft gleichwertige Gehälter kann der 3. Sektor nicht zahlen. Niedrige Gemeinkosten hindern gemeinnützige Organisationen daran, in Bereiche wie Werbung, Infrastruktur und Talentakquise zu investieren, die für den langfristigen Erfolg und die Wirkung von entscheidender Bedeutung sind. Laut Pallotta sind wir nicht wettbewerbsfähig genug, um Wandel herbeizuführen.

We don´t let the third sector indoctrinate people in compassion

Gemeinnützige Organisation konnten aufgrund der Beschränkungen nie die Kraft entwickeln, die es laut Pallotta braucht, um die Welt nicht nur zu verbessern, sondern grundlegend zu verändern. Die Menschen sind vom Konsum hypnotisiert. Was Pallotta propagiert ist, dass der gemeinnützige Sektor gleichermaßen in den Menschen Mitgefühl indoktriniert.

Dan Pallotta polarisiert mit seinem radikalen Ansatz auch in den USA. Uns stellt sich die Frage: Was bräuchte es in Deutschland, um den gemeinnützigen Sektor nachhaltig zu stärken um langfristig mehr Gutes und Innovation zu schaffen?

Montag, 22. Januar 2024

Vier Maßnahmen für Kulturbetriebe in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit

Die Pandemie ist schon länger offiziell für beendet erklärt und trotzdem befinden sich viele Kulturinstitutionen in den USA und auch in Deutschland weiterhin im Krisenmodus: Die Corona-Hilfsleistungen sind ausgelaufen und es gilt, sich vielerorts unter veränderten Bedingungen - von Ressourcenknappheit bis hin zu verändertem Besucher:innenverhalten – wirtschaftlich sicher zu positionieren. Folgende Strategien können Kulturbetriebe verfolgen, um wirtschaftliche Unsicherheit zu bewältigen und gleichzeitig im Dienst ihrer Communities ihre Mission voranzutreiben:

Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken: Kulturbetriebe sollten ihre organisatorischen Risiken und Chancen analysieren und dabei sowohl vorübergehende Herausforderungen, die mit kurzfristigen Stabilitätsmaßnahmen bewältigt werden können, als auch grundlegende Herausforderungen berücksichtigen, die möglicherweise neue Geschäftsmodelle oder Formen der Unterstützung erfordern. Eine Leitfrage dabei könnte sein, wie Kulturbetriebe in Zukunft in Bezug auf Ressourcen und Performance flexibel aufgestellt sein können, um auf andere, schwer vorhersehbare Ereignisse zu reagieren.

Offenheit bzgl. der aktuellen finanziellen Situation: Gemeinnützige Kulturbetriebe und -projekte sollten geldgebende Institutionen und Spender:innen über die Auswirkungen der Wirtschaft auf ihre Leistungserbringung auf dem Laufenden halten. Das galt während der Pandemie und gilt auch weiterhin. Frühzeitige Kommunikation und Aktualisierungen über die Unterstützung der gemeinnützigen Organisation für die Community, ihre Rolle als Arbeitgeber und weitere spezifische Bedürfnisse können den Geldgebenden dabei helfen, Empfänger:innen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten präziser zu unterstützen. 

Koordination und Kollaboration: Die Zusammenarbeit mit anderen gemeinnützigen Organisationen kann für mehr Publikum und größere Relevanz sorgen und entwickelt sich zunehmend für viele Fördernde, insbesondere die öffentliche Hand und Stiftungen, zum Förderkriterium.

Größer ist nicht immer besser: Jetzt ist die Zeit um in Stabilitätsmaßnahmen, Personalbindung und finanzielle Reserven zu investieren, anstatt sich in unsicheren Zeiten auf Wachstum zu konzentrieren.

Auch wenn wirtschaftliche Sicherheit und Planbarkeit in der VUCA-Welt bedingt möglich sind, helfen diese Maßnahmen Kulturbetrieben in Bezug auf interne und externe Kommunikation und Kollaboration besser aufgestellt zu sein und langfristige Perspektiven zu schaffen.

Dienstag, 19. September 2023

Requiem for Mostly Mozart – Mein Kommentar

 Das Ende des Mostly Mozart Festivals, das Kulturkritiker Alex Ross in seinem neuesten Artikel „Requiem for Mostly Mozart“ im New Yorker beschreibt, zeigt die großen Herausforderungen, denen sich Kulturmanager:innen heute stellen müssen. Dem Elitismus der klassischen Musik zugunsten dem unbekannten Neuen abdanken, das gilt an diesem Beispiel inhaltlich sowie organisatorisch. Und nach Meinung von Alex Ross wird in New York mit den besten Intentionen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Die Organisatoren des Festivals, der Lincoln Center for the Performing Arts Präsident und CEO, Henry Timms, und die künstlerische Leiterin, Shanta Thake, wollen mit der Neuausrichtung des Festivals gleichzeitig die Vergangenheit aufarbeiten und Zukunft gestalten. Den modernen Fassaden des Lincoln Centers mussten Ende der 50er Jahre die mehrheitlich puertorikanischen, afrokaribischen und afroamerikanischen Bewohner des Viertels weichen. In den neuen Gebäuden wurden u.a. die Metropolitan Opera, die New Yorker Philharmoniker, das New York City Ballet und die Juilliard School ansässig – eine klare Ansage, welche Kultur dominiert und welches Publikum bevorzugt wurde. Unter dem Titel „Summer in the City“ wurde jetzt ein neues Festival ins Leben gerufen, das zeitgenössische Kunstformen für ein viel breiteres Publikum in den Mittelpunkt rückt. Auf dem Programm stehen Hip-Hop, das Criminal Queerness Festival, die Serie Cultivating Access Ecologies, Korean Arts Week, social sculpture interventions, der Big Umbrella Day mit einem Programm für neurodiverses Publikum, Standup Comedy, Computerspiele, Kopfhörer Parties und eine LGBTQIA+ Mariachi Band. Vom „Mostly Mozart“ Festival, das einst 7 Wochen andauerte, blieben 13 Konzerte in 3 Wochen. Ab 2024 sollen die klassischen Konzerte mit einem neuen Musikdirektor und mit neuem Namen weiterhin in das „Summer in the City“ integriert sein.

Das Festival Orchester, ursprünglich geschaffen, um freiberuflichen New Yorker Musiker:innen eine Sommerbeschäftigung zu verschaffen, bleibt bestehen. Inzwischen spielen dort Musiker:innen der namhaftesten amerikanischen Orchester, der Metropolitan Opera, dem New York Philharmonic, Orpheus Chamber Orchestra, Pittsburgh, St. Louis und Cincinnati Symphony Orchestra. Dieses Wachstum lässt sich seit der Gründung im Jahr 1966 auch in den anderen künstlerischen Bereichen und dem Management verfolgen. Und das bringt ein entsprechendes Budget, organisatorischen Aufwand und Verantwortung mit sich. Warum dies alles für eine Zielgruppe aufwenden? Die strategische Antwort lautet: Kernprodukt verschlanken und diversifizieren. Mit dieser Strategie geht New York voran und setzt gesellschaftspolitische Themen wie Vielfalt, Teilhabe, Zugang und kulturelleGerechtigkeit um.

Als Leitidee für die Neugestaltung des Festivals, dienten folgende Fragen, wie Shanta Thake der New York Times mitteilte: „Was haben wir ausgelassen? Welche Geschichten erzählen wir nicht, die in diesem Moment erzählt werden wollen?“ Die Antwort in diesem Jahr ist die kulturelle Repräsentation aller erdenklicher Gruppen, die bisher ausgelassen wurden sowie Themen, die z.Zt. einen unglaublichen Hype erfahren. Was mir auf den ersten Blick fehlt, ist der künstlerische Fokus in einem Programm, das sich nach „Alles für Alle“ liest. Selbst das Stiefkind „Mostly Mozart“ wurde noch integriert. Kann man all diesen Gruppen und Themen, die in der Tat viel Aufmerksamkeit verdienen, gerecht werden? Und funktioniert das neue Programm im Lincoln Center, der dezidierten Stätte europäisch-stämmiger Hochkultur? In seinem Artikel kommentiert Alex Ross: „Wenn die Menschen einen Ausflug zur Ecke Broadway und 65. Straße machen, suchen sie sicherlich nicht nach einer unbeholfenen Umsetzung von Kulturen, die anderswo in der Stadt in authentischerer Form existieren.“

Noch ist der Abschied vom Mostly Mozart Festival halbherzig. Das teure Orchester bleibt, ein neuer Musikdirektor wurde rasch gefunden. Versuchshalber wurden „Pay what you can“-Eintrittspreise ins Leben gerufen, Preisempfehlung 35 Dollar. Das klingt für neues Publikum nicht wirklich günstig und wenn man den kleinsten Preis bezahlt (5 Dollar), fühlt man sich schlecht.    

Die Neuausrichtung des Festivals ist ein Versuch, vielleicht in diesem Jahr noch zu sehr ein Kompromiss. Aber so ist das, wenn aus dem Alten das Neue hervortreten soll. Bei Kultureller Führung, so Graham Leicester, geht es weniger ums Führen, sondern mehr um die Führung von Kultur, die kreative Überschreitung der vorherrschenden Kultur. Und das braucht kreative Grenzüberschreitungen und Langzeit Perspektiven.

Anders als Alex Ross, der als Kulturkritiker den Untergang seines Betrachtungsgegenstands beobachtet, glaube ich, dass hier ein mutiger und richtiger Weg eingeschlagen wurde, so dass Vielfalt, Teilhabe, Zugang und kulturelle Gerechtigkeit umgesetzt werden können. Ich bin an der Langzeit Perspektive dieses Festivals, das zentrale Themen unserer Zeit umsetzt, vor allem aber an seinem Erfolg interessiert. Die klassischen Konzerte werden innerhalb des Festivals eine kleinere Rolle spielen und ich finde, das darf so sein.

P.S. Eine in diesem Zusammenhang interessante Kulturmanagement Personalie: Louis Langrée, Leiter des Mostly Mozart Festivals, verlässt nach 20 Jahren das Festival und nach 11 Jahren das Cincinnati Symphony Orchestra und wechselt von einer künstlerischen zu einer Kulturmanagement Position als Leiter der Opéra Comique nach Paris. Wie dieser Wechsel gelingt, davon werde ich berichten.

Montag, 3. Juli 2023

Kennzahlen für Kulturmanager:innen

Eine Begegnung am Rande einer Abendveranstaltung, bei der mich ein junger Activist Investor nach den Akquiesekosten für Neukunden beim Cincinnati Symphony Orchester fragte, ist mir deutlich in Erinnerung geblieben. Keine ungewöhnliche Frage an eine Marketing-Direktorin. Abwanderungsquote, Prozentsatz aktiver Kunden, Preistoleranzen – ich hätte so viel parat gehabt. Aber bei dieser Frage geriet ich ins Stottern.

Während ich in den folgenden Tagen, Daten zusammensuchte, um diese Frage zu klären, beschäftigte ich mich auch mit einer übergeordneten Fragestellung: Welche Kennzahlen sind tatsächlich sinnvoll und hilfreich als interne Messlatte aber auch als Kommunikationsinstrument mit unseren Stakeholdern?

Ein guter Startpunkt für eine Kommunikation rund um Kennzahlen ist, das Publikum in den Mittelpunkt zu rücken. Dabei helfen folgende Betrachtungen:

1. Gesamteinnahmen von Besuchern

Spenden + Ticketverkäufe + Abonnements + Mitgliedschaften + Events = Gesamteinnahmen von Besuchern

Hier ist der Ansatz, die gesamten Kundeneinnahmen zu betrachten und nicht in die Bereiche Einnahmen aus Marketing oder Fundraising zu teilen. Im Vergleich zur komplexen Berechnung des Kundenwerts ist diese Kennzahl vergleichsweise einfach zu erheben und gibt im Einzelvergleich Auskunft darüber, wo das Potential der Kunden:innen liegt.  

Die Gesamteinnahmen von Besuchern können in einem weiteren Schritt durch die Gesamteinnahmen der Organisation geteilt werden. Wie hoch ist der Prozentsatz im Vergleich zu den anderen Einnahmen aus öffentlicher und institutioneller Förderung, Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung oder Sponsoring? Das Verhältnis der Anteile kann Aufschluss darüber geben, wo der Fokus der Einnahmen liegt und ob die Kulturinstitution in Bezug auf die Einnahmen genügend breit aufgestellt ist.

2. Aktive Kunden

Haushalte mit Interaktion in den letzten drei Jahren / Gesamtzahl der Haushalte in der Kundendatei =

% der aktiven Kunden

Für diese Quote gilt: Je höher desto besser. Diese Formel kann auf einzelne Käufertypen wie Einzelkartenkäufer, Abonnenten oder Spender:innen runtergebrochen und im jährlichen Zeitverlauf betrachtet werden. Für diese Segmente können dann entsprechend Maßnahmen zur Reaktivierung oder Bindung ergriffen werden. Mit welchen Maßnahmen lassen sich die Kunden auf die jeweils nächste Stunde des Engagements überführen?

3. Abwanderungsquote von Neukund:innen

Anzahl der Neukund:innen vor 2 Jahren, die dieses Jahr nicht kamen / Anzahl der Neukund:innen vor 2 Jahren =

Meist setzen Kulturinstitutionen zu stark auf die Akquise neuer Zielgruppen und vernachlässigen deren kontinuierliche Bindung. Die Gewinnung von Neukunden ist jedoch deutlich kostenintensiver als die Re-Aktivierung bestehender Kund:innen. Bei amerikanischen Orchestern liegt die Abwanderungsquote von Neukunden bei 80%. Schon bei einem zweiten Besuch in derselben Saison fällt die Abwanderungsquote um 30%. Welche Angebote zur Wiederkehr am besten beim Publikum ankommen, hat die „Audience Growth Initiative“ der League of American Orchestras untersucht. Sog. „Killer Offers“ mit einem größtmöglichen Rabatt (50%) erzielten die größten Erfolge.

4. % von Abonennt:innen-Spender:innen

Anzahl der Abonennt:innen-Spender:innen der letzten Saison / Anzahl Abonent:innen der letzten Saison =

% der Abonennt:innen-Spender:innen der letzten Saison

Kundenloyalität ist eine beliebte Kennzahl, die oft durch die Verlängerung von Abonnements bzw. Mitgliedschaften von Jahr zu Jahr gemessen wird. Noch größere Loyalität beweisen Kunden:innen die sowohl abonnieren als auch spenden. Der Schritt zwischen Abonnenten und Abonnenten-Spendern ist auch der Bereich, in dem möglicherweise eine Lücke zwischen dem Marketing- und Fundraisingteams besteht. Die Betrachtung dieser Kennzahl gibt Auskunft, ob die Abteilungen nahtlos zusammenarbeiten oder ob Abonnenten vernachlässigt werden und Anpassungen an der Bearbeitungsstrategie vorgenommen werden sollten.

Im Vergleich zu den gängigen Kennzahlen im deutschen Kulturbetrieb, wie der Subventionshöhe pro Ticket oder der Auslastungsrate, sind die o.g. Kennzahlen mit konkreten Handlungsempfehlungen verbunden und gehören zu meinen Lieblingskennzahlen für den kommentierten Finanzbericht.

Ich würde mich sehr freuen, von Ihrer Lieblingskennzahl zu hören. Schreiben Sie mir auf Twitter @sonjaostendorf!

Freitag, 19. Mai 2023

Neue Formen des Engagements der digitalen Zivilgesellschaft

Digitale Technologien haben die Art und Weise, wie wir kommunizieren und konsumieren, stark verändert. Digitale Systeme und kollektives Handeln bedingen und prägen sich gegenseitig und eine positive Auswirkung dieser Entwicklung ist das Entstehen neuer Formen des Engagements der Zivilgesellschaft mithilfe digitaler Technologien.

Ein Beispiel ist das digitale Ehrenamtliche Engagement (Virtual Volunteering), das in den USA im Kultursektor weit verbreitet ist. Aber auch Impact Investment, Online Activism und Benefit Corporations sind aktuelle Formen des Engagements und Finanzmanagements, die gemeinnützige Zwecke unterstützen.

Lucy Bernholz, Direktorin des Digital Society Labs der Stanford University, gibt jährlich einen Bericht zum Thema „Philanthropie und digitale Zivilgesellschaft“ heraus. In dem Bericht werden Beobachtungen und Entwicklungen an der Schnittstelle von Philanthropie und digitaler Zivilgesellschaft verschiedener Autor:innen veröffentlicht. Er schließt jeweils mit einer Trend-Vorhersage für das aktuelle Jahr ab. Die Trends für das Jahr 2023 sind mehrheitlich USA-spezifisch, z.B. die Zunahme von „cy pres“-Finanzierungen aus Sammelklagen, in denen Schadensersatzansprüche anstatt vieler Kleinstbeträge an die Kläger einer gemeinnützigen Organisation zugesprochen werden. Dennoch gibt es zwei Entwicklungen, die auch in Deutschland Relevanz und Vorbildfunktion haben:

1.   1. Von den 2022 aus dem Technologie-Sektor Entlassenen wird es 2023 einen Start-up Boom geben, der auch zu einer Welle von „Tech for Good“-Initiativen führen wird. Die Formen des Engagements dieser Social Entrepreneurs sind wegweisend für den gemeinnützigen Sektor und die damit einhergehende Aktions- und Gebendenkultur von großer Bedeutung. Die Entwicklung hin zum Stakeholder Vorstand im Kulturbetrieb korrespondiert z.B. mit dem Verständnis vom Activist Investor aus der freien Wirtschaft.

2    2. Das Experimentieren mit der Bezahlung von digitalen Artefakten geht über den NFT-Hype weiter. Alternative Modelle, wie Patreon oder genossenschaftliche Eigentumsmodelle, gewinnen an Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie der zukünftige Wert von Künstler:innen und anderen Kreativen in diese Bezahlmodelle integriert werden kann. Hier ist die große Chance, den Kapitelmarkt in Bezug auf das Urheberrecht neu zu gestalten.


Dienstag, 28. Februar 2023

Künstliche Intelligenz im Kulturmanagement

Quelle: YouWrite, Case: Blog, Tone: Professional, Audience: Professionals, Prompt: applications of artificial intelligence in cultural management, Übersetzung: Google Translate

„Die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) im Kulturmanagement wird mit fortschreitender Technologie immer beliebter. KI kann helfen, Prozesse zu rationalisieren, Effizienz und Genauigkeit zu verbessern und Einblicke zu liefern, die sonst unmöglich zu erhalten wären. Als solches ist es zu einem unschätzbaren Werkzeug für Fachleute auf dem Gebiet des Kulturmanagements geworden.

Eine Möglichkeit, KI einzusetzen, besteht darin, Daten zu analysieren, die sich auf die Interaktion des Publikums mit einer bestimmten Kunstform oder Veranstaltung beziehen. Durch die Analyse dieser Daten mit maschinellen Lernalgorithmen können Administratoren Erkenntnisse darüber gewinnen, was das Publikum an bestimmten Aufführungen oder Kunstwerken mag und wie sie emotional darauf reagieren – Informationen, die sich bei der Planung zukünftiger Veranstaltungen oder Ausstellungen als unschätzbar erweisen könnten.

Eine weitere Anwendung für KI im Kulturmanagement ist die Automatisierung alltäglicher Aufgaben wie Budgetierung und Planung von Veranstaltungen oder Ausstellungen, sodass Administratoren mehr Zeit für kreative Problemlösungsaktivitäten zur Verfügung haben, anstatt sich Tag für Tag mit mühsamer Papierarbeit zu beschäftigen. Diese Automatisierung trägt auch dazu bei, Fehler aufgrund menschlicher Fehler zu reduzieren und gleichzeitig Ressourcen freizusetzen, die dann an anderer Stelle im Betrieb der Organisation eingesetzt werden könnten, wo sie möglicherweise mehr Gutes bewirken, als wenn sie nur für Verwaltungsaufgaben untätig bleiben.

Darüber hinaus kann KI auch dabei helfen, Muster in großen Datensätzen schnell zu identifizieren, was Menschen viel länger Zeit kosten würde – so dass Fachleute, die in Kulturmanagementabteilungen arbeiten, Entscheidungen auf der Grundlage genauer Vorhersagen treffen können und nicht nur auf Vermutungen; Dadurch werden Kosten eingespart, die mit der fehlerhaften Durchführung von Projekten durch Trial-and-Error-Methoden verbunden sind, die unter den traditionellen Ansätzen, die heute von vielen Organisationen verwendet werden, vorherrschen.

Zusammenfassend bietet künstliche Intelligenz zahlreiche Vorteile, wenn sie richtig auf Funktionen des Kulturmanagements angewendet wird, die von automatisiertem Aufgabenmanagement, verbesserten Entscheidungsfähigkeiten durch prädiktive Analysen, verbessertem Kundenerlebnis durch gezielte Marketingkampagnen usw. reichen. Es ist daher angebracht, dass alle in diesem Sektor tätigen Fachleute in Betracht ziehen, diese leistungsstarken Tools, die ihnen zur Verfügung stehen, wann immer möglich zu nutzen!“

Während die obenstehenden von Künstlicher Intelligenz recherchierten und formulierten Absätze sicherlich informativ sind, bleibt der Artikel nach meinem Eindruck oberflächlich. Es werden keine Verknüpfungen hergestellt und keine neuen Perspektiven präsentiert. So kommt das Neue nicht in die Welt!

Bei Künstlicher Intelligenz im Kulturmanagement handelt es sich bisher um ein Thema, das noch mehr ein fremder Gedanke als ein Trend ist. Während das Thema in der Kunst vielfach diskutiert wird, wird es im administrativen Bereich kaum beachtet. Vor der Pandemie gab es dazu in den USA ein paar Artikel und dann konzentrierte sich im Kulturbetrieb fast drei Jahre alles auf das Überleben, die Schadensbegrenzung und den Wiederaufbau.

Eine gute Einstiegsfrage ist, wo macht Künstliche Intelligenz im Kulturmanagement Sinn? Ich frage noch einmal bei einem anderen KI Programm nach, um präzisere Anwendungsmöglichkeiten zu erhalten:

Quelle: ChatGPT, Prompt: Explain applications of artificial intelligence in cultural management, Übersetzung: Google Translate

„Künstliche Intelligenz (KI) kann auf verschiedene Weise zur Unterstützung des Kulturmanagements eingesetzt werden, darunter:

1. Erstellung von Inhalten: KI-gestützte Tools können verwendet werden, um neue Kunstwerke, Musik und Texte zu erstellen und Künstler bei ihrem kreativen Prozess zu unterstützen.

2. Archivierung und Bewahrung: KI kann zur Digitalisierung und Bewahrung kultureller Artefakte wie Gemälde, Skulpturen und Manuskripte eingesetzt werden. Es kann auch verwendet werden, um diese Artefakte zu analysieren und zu klassifizieren, wodurch sie leichter auffindbar und zugänglich werden.

3. Einbindung des Publikums: KI-gestützte Chatbots und virtuelle Assistenten können verwendet werden, um das Besuchererlebnis in kulturellen Einrichtungen wie Museen und Galerien zu verbessern, indem sie personalisierte Empfehlungen geben und die Fragen der Besucher beantworten.

4. Veranstaltungsplanung und -verwaltung: KI kann verwendet werden, um Daten zu vergangenen Veranstaltungen zu analysieren, um Muster zu erkennen und zukünftige Veranstaltungen zu optimieren, wie z. B. Ticketpreise, Planung und Marketingstrategien.

5. Social-Media-Management: KI kann verwendet werden, um Social-Media-Daten zu analysieren, um das Engagement und die Vorlieben des Publikums zu verstehen, um bei der Erstellung von Social-Media-Inhalten zu helfen und um Erwähnungen in sozialen Medien zu überwachen.

6. Vorhersageanalyse: KI kann verwendet werden, um die zukünftige Popularität und den Erfolg bestimmter Kunstwerke, Musiker und Veranstaltungen vorherzusagen, was bei der Kuration, dem Marketing und anderen Entscheidungsfindungen hilfreich sein kann.“

Während es wirklich wünschenswert wäre, dass z.B. im Fundraising KI die Identifizierung potentieller Spender:innen übernimmt oder Spender:innen-Potential-Analysen durchführt, damit den Mitarbeitenden mehr Zeit für persönliche Kontakte bleibt, sind die allermeisten Kulturinstitutionen überhaupt nicht aufgestellt, KI sinnvoll einzusetzen. Und das liegt nicht an übergeordneten ethischen oder organisatorischen Fragen. Die allermeisten Kulturbetriebe in Deutschland haben schlichtweg ihre Daten ungenügend geordnet und aufgearbeitet, um KI durch große eigene Datenmengen filtern zu lassen.

Versuchen Sie doch einmal spaßeshalber einen Programmzettel oder einen Spendenbrief mit Text und Graphik von KI erstellen zu lassen. Das ist möglich, weil die KI hier auf externe Daten aus dem Internet zugreifen kann. Gefällt Ihnen das Ergebnis? Vermutlich nicht ganz. Hier wird unsere Rolle als Kulturmanger:in besonders deutlich. Im Zeitalter der Digitalisierung sind wir die authentische Stimme, geben wir den Stimmton an, das Lokalkolorit. Arbeitsdesign ist eine wichtige Aufgabe und am Ende ist KI nur so gut wie die Fragen, die wir stellen.

Ich schließe mit den Worten von Seth Rodin (Seth´s Blog): Wir müssen nie wieder jemanden einstellen, der eine ziemlich gute Pressemitteilung, einen ziemlich guten medizinischen Bericht oder ein ziemlich gutes Investorendeck schreibt. Diese sind sofort verfügbar, kostenlos und das Basisniveau von mittelmäßig. Die Chance für die Zukunft bleibt dieselbe: Einsicht und Mut zu interessanten Problemen zu bringen.“

Mittwoch, 30. November 2022

Arbeitgeber-Marketing im Kulturbetrieb

Der Arbeitsmarkt im Kulturmanagement hat sich nach zweieinhalb Pandemie-Jahren wieder ein bisschen belebt. Gute Neuigkeiten für alle, die sich wieder oder zum ersten Mal bewerben wollen! Aber genau wie das Publikum sich in den letzten Jahren an die Couch ge­wöhnt hat, haben sich viele Arbeitnehmer:innen an das Homeoffice gewöhnt. Dazu werden Kulturbetrie­be mit Ansprüchen potenzieller Arbeitnehmer:innen wie ausgewogener Work-Life-Balance und Nachfragen zu ethischen und nachhaltigen Werten konfrontiert. Wie passt das in den Spiel- oder Ausstellungsbetrieb? Künstler:innen und Kulturmanager:innen arbeiten, wenn andere frei haben. Aber „Gemeinsame Begeiste­rung für die Künste reicht nicht mehr aus“, stellt auch Birgit Mandel fest (Handbuch Kulturmanagement: Beitrag E 3.22).

Maßnahmen, um die Kommunikationslücken zu schließen, bietet das Arbeitgeber-Marketing oder Employer Branding. Um eine Employer-Bran­ding-Strategie erlebbar zu machen, braucht es Kom­munikationsmaßnahmen. Also emotionale Emplo­yer-Branding-Maßnahmen, die es aktuellen und zukünftigen Mitarbeiter:innen ermöglichen, den Be­trieb auf ihrer Employee oder Candidate Journey an allen relevanten Touchpoints zu erleben. Angefangen bei der Karrierewebseite, Stellenanzeigen, Landingpa­ges, einem Slogan, Video- und Bildmaterial, Socia-Me­dia-Postings, Social Recruiting, internen Events, Mit­arbeiterbindungskonzepten, interner Kommunikation und vielem mehr. Auch Beratung zur Verbesserung der Führungs- und Feedbackkultur wirkt sich positiv auf die internen Employer-Branding-Ziele aus.

Ziel von Employer-Branding-Maßnahmen ist es, die Markenbekanntheit, Markensympathie und „Brand Usage“ zu steigern. In der externen Employer-Bran­ding-Kommunikation wird als Markennutzung die Be­werbung verstanden.

Manchmal ist es sinnvoll, sich auf das interne Em­ployer Branding zu konzentrieren. Wenn beispiels­weise die Fluktuation überdurchschnittlich hoch ist oder Umfragen zur Mitarbeiterzufriedenheit Defizite aufzeigen, sind Mitarbeiterbindungskonzepte gefragt. Idealerweise verfolgen Arbeitgeber einen ganzheit­lichen Ansatz: Dazu gehören die Umsetzung interner Employer-Branding-Maßnahmen und strategisches Changemanagement (Organisationskultur, Führungs­kultur, Feedback-, Fehler- und Lernkultur), damit aus der Strategie ein erlebbares Employer Branding wer­den kann.

Was bedeutet das für Kulturbetriebe konkret? Für den Anfang kann das heißen, im Bewerbungsgespräch für die eigene Organisation zu werben, Work-Life-Balance aktiv zu adressieren und Werte und Nachhaltigkeits­themen aus Betriebsperspektive zu erläutern. Mittel­fristig müssen die obengenannten Strategien aber bei den Mitarbeiter*innen ankommen.

Übrigens, ein Blick auf die amerikanischen Kulturin­stitutionen durch die Unternehmensbewertungspor­tale Glassdoor oder Comparably zeigt, wie schlecht die gesamte Kulturbranche in den USA im Vergleich zu anderen Branchen abschneidet. Auch die Interes­senverbände der amerikanischen Museen, Orchester oder Opernhäuser bieten keine Ressourcen für das Employer Branding an. Für das Advisory Board for Arts aus Washington, DC, präsentierte Karen Freeman im September einen Vortrag „Attracting talent: What arts employees want + how orgs can meet those needs” auf LinkedIn (YouTube link) und fand in einer Umfrage heraus, dass Mitarbeiter:innen in Kulturbetrieben die Organisati­onskultur wichtiger als die künstlerische Reputation bewerten.


Mittwoch, 14. September 2022

Audience Development und Kulturpolitik

In seinem Buch Audience Development and Cultural Policy untersucht Steven Hadley den Zugang zu öffentlich geförderter Kultur durch Audience Development Maßnahmen in England. Der moralische Imperativ, Zugang zur öffentlich geförderten Kultur zu sichern, zieht sich durch die gesamte Geschichte des Arts Council. Als Mittel der Zugangssicherung fördert der Arts Council Audience Development Programme. Hadley identifiziert zwei Traditionen im Audience Development, die der Kunstliebhaber und die der sozialen Gerechtigkeit.

Die Tradition des Audience Developments für Kunstliebhaber sieht das Ziel der Publikums-entwicklung in erster Linie darin, die Begeisterung für großartige Werke zu teilen und geschmacksbildend zu wirken (eine Praxis, die in der Hochkultur verwurzelt ist).

Die Tradition der sozialen Gerechtigkeit durch Audience Development ist in den Wertvorstellungen der Teilnehmer:innen stark mit sozialen Vorstellungen wie Gerechtigkeit und Umverteilung verbunden. Daher sind in dieser Tradition die Ergebnisse des Engagements wichtiger als die Kunstform (mit dem Ergebnis, dass Hochkultur als der Popkultur gleichwertig angesehen wird).

Die zweite Tradition hat sich später ausgeprägt und dient dazu, den Zugang zu öffentlich geförderter Kultur gerechter zu gestalten. Diese Zweigleisigkeit zeigte sich auch in meiner Kulturmanagementpraxis in den USA: 

Als Marketingdirektorin beim Cincinnati Symphony Orchester war ich für die Entwicklung des Musikliebhaber Publikums verantwortlich.  Aus Marketingsicht bedeutete das die Entwicklung zahlender Kund:innen durch verschiedene Einstiegs- und Bindungsmaßnahmen. Der Teil soziale Gerechtigkeit der Publikumsentwicklung fand unter Leitung der Diversitätsmanagerin in der pädagogischen Abteilung statt. Es gab keinerlei Überschneidungen unserer Arbeit, keine gemeinsamen Visionen, kein gemeinsames Ziel.

In Anbetracht der minimalen öffentlichen Finanzierung amerikanischer Kulturinstitutionen scheint es interessant, dass dort die Finanzierung durch private Institutionen und Spenden zu dem gleichen Narrativ und den gleichen Rahmenbedingungen geführt hat, in denen Audience Development funktioniert. Hier liegt die Idee Nahe, dass die Verwurzelung vieler Kulturinstitutionen in der europäischen Kultur- und Kulturfinanzierungsgeschichte, den zweigeteilten Ansatz zur Publikumsentwicklung prägt. Solange das Bildungsbürgertum genug Kunstliebhaber produziert, reicht es, geschmacksbildend zu wirken.  Wenn das nicht mehr ausreicht, sollen neue Zielgruppen durch Maßnahmen, die soziale Gerechtigkeit in Bezug auf Zugang zur Kultur versprechen, greifen.

Die Förderprogramme in Deutschland sind eher auf Zugang und weniger auf Nachhaltigkeit (Bindung) ausgerichtet. Publikumsentwicklung ist selten ein Förderkriterium. Audience Development bleibt ein Nachgedanke, nicht zentral für die Mission. Wirkliche Audience Development Strategien (hier sind die Zielgruppen, die wir identifiziert haben, warum diese und so erreichen wir sie) sind in Deutschland selten. Die Bemühungen scheinen vor allem deshalb so gering, weil es keine verbindliche Rechtfertigung oder Berichterstattung an die öffentlichen Förder:innen gibt. Das sieht in den USA deutlich anders aus. Die Nachhaltigkeit von Projekten nicht nur in Bezug auf Finanzierung, sondern auch in Bezug auf Relevanz und Bindung ist groß. Wie ausgeprägt das Feld ist, zeigt sich an einer aktuellen Stellenausschreibung, der Suche nach einem Loyalty Marketing Strategist beim Detroit Symphony Orchestra, eine fortgeschrittene CRM Position innerhalb des Audience Development Teams. 

Steven Hadley glaubt, dass Kulturmarketer besser für ihre Arbeit gerüstet sind, wenn sie ein gutes Verständnis für die Geschichte ihres Berufs und Verständnis für die kulturpolitischen Zusammenhänge hätten. Die Geschichte liegt in Deutschland, England und den USA ganz eng beieinander und wir können viel voneinander lernen.

Der Autor, Dr. Steven Hadley, @maninbelfast, sendet den Leser:innen gerne ein pdf seines Buches zu und steht für Vorträge und Diskussionen zur Verfügung.

Samstag, 6. August 2022

Die Rolle der Künstler:innen post-Covid: Momente, die wie Blitzeinschläge sind

Es ist Sommerpause - wer kann, reist in die Sonne, an die See oder auf einen grünen Hügel. Viele Musiker:innen sind jetzt für ihre Herzensprojekte unterwegs - mit Freund:innen gemeinsam bei  internationalen Festivals spielen. Freunde, Reisen, gute Musik und die lauen Sommernächte - was gibt es Schöneres?

In den letzten Monaten habe ich viel über die Bemühungen von Kulturmanager:innen international geschrieben, was wir während der Schließung und nach der Wiederöffnung der Säle machen sollen, um unter unsicheren Bedingungen einen neuen Kulturalltag zu gestalten. Die Perspektive der Künstler:innen, die insbesondere im Lockdown mit großer Kreativität neue Formate und Inhalte geschaffen haben, habe ich vernachlässigt. Dabei bin ich selbstverständlich der Meinung, dass erfolgreiches Kulturmanagement weiterhin nur in einem gemeinsamen Gestaltungsprozess von künstlerischem Personal und Verwaltung stattfinden kann. 

Jan Vogler, Leiter der Dresdner Musikfestspiele und des Moritzburg Festivals, hat zur Rolle der Künstler:innen post-Covid einen großartigen Denkanstoß am 5.8.2022 in der Sächsischen Zeitung gegeben: "Die Pandemie hat uns Künstler gequält - und wachgerüttelt. Denn wir hatten uns daran gewöhnt, klassische Musik perfekt zu spielen. Es geht aber nicht um den perfekten Abend. Der muss jedoch außergewöhnlich sein - wenigstens für Momente, die wie Blitzeinschläge sind. Um so zu überzeugen, brauchen wir Interpreten enorme Energie, Enthusiasmus und emotionales Engagement." 

Das sind genau die Schlagworte, die ich versucht habe, in den letzten Monaten, mit dem Marketing-Ansatz der Lovemarks herauszuarbeiten. Jan Voglers Aussage trifft genau die Publikumserwartung: Wir brauchen Blitzeinschläge, um die Couch-Lethargie zu überwinden. Bringen wir also gemeinsam ganz viele Gewitter auf den Weg!

Mittwoch, 6. Juli 2022

Kulturkommunikation post-Covid: Inhaltliche Kernaussagen für die Kultur

In meinem letzten Beitrag stellte ich fest, dass wir Kulturmanger:innen für unser Publikum post-Covid sorgsam den Übergang von der Couch in den Kulturbetrieb gestalten müssen. In der Vergangenheit war für Kulturmarken das Konzept der Lovemarks hilfreich: Ein stark emotional belegtes Kulturmarken Image, das Loyalität über die Vernunft hinaus schafft, weit mehr, als es mit einem einfachen Preis-Leistungsverhältnis zu begründen wäre.

Mein Eindruck ist, dass wir in unserem von der Pandemie und dem Krieg in Europa geprägten Alltag emotional erschöpft sind und nicht mehr die ganz großen Gefühle und Geschichten suchen. Vielleicht könnten wir in der Kultur das Narrativ dahin gehend verändern, die Frage nach der Relevanz oder dem Luxus von Kultur in der Markendarstellung zu adressieren. In diesen Krisenjahren geht es schnell um die Grundbedürfnisse der Menschen gegen die Kunst und Kultur als Luxusgut. Aber die menschliche Blüte, wie sie sich im kreativen Prozess, in der Kunst und Kultur zeigt, drückt Hoffnung aus über den menschlichen Zustand und wer wir als Menschen sind. Als Kulturschaffende müssen wir beweisen, dass mit dem Kulturerlebnis genauso essentielle humanitäre Bedürfnisse wie z.B. Hoffnung und Gemeinschaft befriedigt werden. Denn was in dieser Zeit Spaß macht, ist die Kunst mit ihrer durchaus therapeutischen Qualität.