Mittwoch, 8. September 2021

Auf dem Weg zum Stakeholder Vorstand

Stakeholder sind Interessensgruppen oder Personen, die Ihre Organisation beeinflussen und/oder von ihr beeinflusst werden. Stakeholder (wie Freiwillige, Spender und Lieferanten) beeinflussen Ihre Fähigkeit, Ihre Mission zu erfüllen; sie sind auch die Menschen (wie Begünstigte, Partnerorganisationen und die Gemeinschaft), die die Konsequenzen Ihrer Entscheidungen und Handlungen erfahren.

Die Betrachtung von Stakeholdern ist für eine Organisation unerlässlich, um effektiv, rechenschaftspflichtig und ethisch zu sein (z. B. bei der Aufrechterhaltung einer gerechten Macht-Dynamik).

Stakeholder können als intern (z.B. Mitarbeiter und Ehrenamtliche) oder externe (wie Besucher, Förderer, Medien) kategorisiert werden. Im Projektmanagement werden Stakeholder manchmal als primär oder sekundär kategorisiert, also Personen, die direkt oder indirekt betroffen sind.

In den letzten Jahrzehnten konzentrierten sich gemeinnützige Organisationen im Allgemeinen auf den Aufbau von Beziehungen zu denen, mit denen sie direkt in Kontakt standen, wie beispielsweise den Menschen, die sie versorgten, und den Geldgebern. Heute wird zunehmend erkannt, dass die Erfüllung der Mission einen ganzheitlicheren Ansatz erfordert, da die komplexen Probleme, mit denen gemeinnützige Organisationen konfrontiert sind, weit über das eigene Publikum hinaus gehen.

Komplexe Probleme erfordern den Input und die Zusammenarbeit zahlreicher Stakeholder mit unterschiedlichen Sichtweisen, um Lösungen zu schaffen.

Eine Möglichkeit Stakeholder zu identifizieren und zu evaluieren ist, diese in primäre und sekundäre Interessengruppen zu teilen und nach verschiedenen Kriterien zu bewerten. Dazu kann z.B. gehören, warum man sich für diese Gruppe engagiert, wie man sich engagiert, welchen Wert die Organisation für die Stakeholder schafft und welchen Wert die Stakeholder für Organisation schaffen. Zu verstehen, mit wem, warum und wie sehr die Organisation mit den Stakeholdern im Austausch steht, ermöglicht, eine missionsorientierte Strategie zu entwickeln und zu kommunizieren. Dieses ganzheitliche Denken beeinflusst dann sowohl organisationsbezogene Ziele (z. B. Reichweitensteigerung) als auch Grenzen übergreifende Ziele wie Interessenvertretung und Diversifikation.

Sobald eine Organisation ihre Stakeholder identifiziert hat, besteht der nächste Schritt darin, zu überlegen, wie sie mit ihnen interagieren möchte. Inwieweit binden wir Stakeholder in unsere Entscheidungsfindung ein? Berücksichtigen wir sowohl die kurz- als auch die langfristigen Auswirkungen unseres Handelns auf verschiedene Anspruchsgruppen? Welche Kennzahlen verwenden wir, um das Wohlbefinden unserer Stakeholder zu verfolgen? Auf welcher Ebene in unserer Organisation werden diese Kennzahlen überwacht und diskutiert? Welche Kanäle haben wir, um Stakeholdern eine Stimme bei der Gestaltung unserer Strategie und unserer Ziele zu geben? Wie bereit sind wir, unsere Ansätze und Verhaltensweisen basierend auf diesen Perspektiven anzupassen?[1]

Aufgrund dieser Analysen und Abwägungen kann dann strategisch entschieden werden, welche Stakeholder im Vorstand vertreten sein sollen. Idealerweise sind das alle, auch wenn es auf dem ersten Blick ungewohnt erscheinen mag. Die Vielfalt der Repräsentation auf Führungsebene einer Organisation demonstriert größere Inklusion, bietet mehr Anknüpfung zur Identifikation und führt zu größerer Relevanz.

Es ist ein weiter Weg von der üblichen Frage: „Hast Du nicht Lust, mit in meinem Vorstand zu arbeiten?“, die unausweichlich zur Perpetuierung von Seilschaften und etabliertem Machtgefüge führt. Die Stakeholder-Analyse ist ein strategischer Ansatz, über den eigenen Tellerrand zu blicken und Neues in die Organisation zu holen.

Die Stakeholder-Analyse ist nützlich, um ein Bewusstsein dafür zu gewinnen, auf wen Ihre Organisation Einfluss hat und auf wen Sie zur Erfüllung Ihrer Mission angewiesen sind. Die explizite Betrachtung von Stakeholdern erhöht den strategischen Fokus, erweitert die Optionen und richtet den organisatorischen Fortschritt aus. Die Systemzuordnung macht die Verbindungen zwischen Stakeholdern und Ihrem Kontext sichtbar. Denken Sie bei der Identifizierung Ihrer Stakeholder und der Förderung von Gegenseitigkeit und relationaler Rechenschaftspflicht daran, dass Inklusion der Schlüssel zu Gerechtigkeit ist.



[1] Raj Sisodia, Timothy Henry, and Thomas Eckschmidt, Conscious Capitalism Field Guide: Tools for Transforming Your Organization (Boston: Harvard Business Review Press, 2018).

 

Vom Shareholder zum Stakeholder Vorstand

In den letzten Jahren ließ sich ein deutlicher Wandel im Selbstverständnis von Vorständen in gemeinnützigen Kulturorganisationen in den USA beobachten, weg vom Shareholder Mindset hin zu einem Stakeholder Vorstand. Während der Shareholder Vorstand sich vor allem den klassischen Vorstandsaufgaben, rechtliche und finanzielle Absicherung kümmert, finden sich im Stakeholder Vorstand Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft, die die Institutionen nach innen und außen führen und repräsentieren. Die Entwicklung fing mit der Großen Rezession 2008 an, als viele Kulturorganisationen nicht nur um schwindende finanzielle Unterstützung konkurrierten, sondern auch in einer gesellschaftlichen Debatte ihren Steuerstatus rechtfertigen mussten. Etliche Stiftungen machten es damals verpflichtend, dass Kulturorganisationen ihre Relevanz in ihrem Umfeld beweisen mussten, wollten sie sich um Förderung bewerben. Viel hat sich nicht nur wissenschaftlich getan, um diesen Einfluss messbar zu machen. Vor allem lokale Kooperationen und die Diversität von Personal und Programmen der Kulturorganisationen spielen eine große Rolle.

Die American Museum Association z.B. hat in den letzten Jahren geholfen, 100 BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) Menschen für Vorstandspositionen in Museen zu vermitteln und für 1000 Vorstandsmitglieder in 50 Museen Diversity Trainings durchgeführt. Für die großen Kulturorganisationen in den USA ist es inzwischen unerlässlich, einen sog. Diversity Officer einzustellen und über die Fortschritte offiziell zu berichten.

So sehr die allermeisten Entscheidungsträger verstanden haben, dass es Menschen aus allen Lebensbereichen braucht, um eine Kulturorganisation zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu führen, hält sich die Sorge, ob die Stakeholder Vorstände weiterhin die in den USA so überlebenswichtige Aufgabe der Mittelbeschaffung sichern können. Und diese Sorge scheint zunächst berechtigt. Während der Pandemie waren vor allem jene Fundraising Projekte erfolgreich, in denen reiche und einflussreiche Fürsprecher mit entsprechenden Netzwerken als Multiplikatoren für Kampagnen wirkten. In der Praxis haben einige Kulturorganisationen ja bereits den Schritt zum Stakeholder Vorstand vollzogen und festgestellt, dass sich tatsächlich viele neue Menschen von der Arbeit angesprochen fühlen und auch fördernd tätig werden. Das geschieht dann oftmals in geringerem Umfang und führt wiederum dazu, Ehrenamt und Fundraising-Kampagnen auf ganz neue Zielgruppen auszurichten. Aber nicht nur das, auch sog. onboarding-Maßnahmen für neue Vorstandsmitglieder werden detaillierter ausfallen und das Berichtswesen, vor allem der Annual Report, müssen ebenfalls auf andere Zielgruppen ausgerichtet werden.

In Deutschland, wo die Rolle des Vorstands auch, aber weniger stark mit persönlichen Spenden, in der finanziellen Sicherung von Kulturorganisationen liegt, steht vermeintlich einer Diversifizierung von Vorstandsmitgliedern hin zu einem Stakeholder Vorstand weniger im Wege. Trotzdem vollzieht sich die Entwicklung hier deutlich langsamer. Der Druck zum Wandel, der auf amerikanische Kulturorganisationen durch die Große Rezession und die Rassenproteste der letzten Jahre entstanden ist, ist hierzulande noch weniger groß.