Mittwoch, 8. September 2021

Vom Shareholder zum Stakeholder Vorstand

In den letzten Jahren ließ sich ein deutlicher Wandel im Selbstverständnis von Vorständen in gemeinnützigen Kulturorganisationen in den USA beobachten, weg vom Shareholder Mindset hin zu einem Stakeholder Vorstand. Während der Shareholder Vorstand sich vor allem den klassischen Vorstandsaufgaben, rechtliche und finanzielle Absicherung kümmert, finden sich im Stakeholder Vorstand Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft, die die Institutionen nach innen und außen führen und repräsentieren. Die Entwicklung fing mit der Großen Rezession 2008 an, als viele Kulturorganisationen nicht nur um schwindende finanzielle Unterstützung konkurrierten, sondern auch in einer gesellschaftlichen Debatte ihren Steuerstatus rechtfertigen mussten. Etliche Stiftungen machten es damals verpflichtend, dass Kulturorganisationen ihre Relevanz in ihrem Umfeld beweisen mussten, wollten sie sich um Förderung bewerben. Viel hat sich nicht nur wissenschaftlich getan, um diesen Einfluss messbar zu machen. Vor allem lokale Kooperationen und die Diversität von Personal und Programmen der Kulturorganisationen spielen eine große Rolle.

Die American Museum Association z.B. hat in den letzten Jahren geholfen, 100 BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) Menschen für Vorstandspositionen in Museen zu vermitteln und für 1000 Vorstandsmitglieder in 50 Museen Diversity Trainings durchgeführt. Für die großen Kulturorganisationen in den USA ist es inzwischen unerlässlich, einen sog. Diversity Officer einzustellen und über die Fortschritte offiziell zu berichten.

So sehr die allermeisten Entscheidungsträger verstanden haben, dass es Menschen aus allen Lebensbereichen braucht, um eine Kulturorganisation zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu führen, hält sich die Sorge, ob die Stakeholder Vorstände weiterhin die in den USA so überlebenswichtige Aufgabe der Mittelbeschaffung sichern können. Und diese Sorge scheint zunächst berechtigt. Während der Pandemie waren vor allem jene Fundraising Projekte erfolgreich, in denen reiche und einflussreiche Fürsprecher mit entsprechenden Netzwerken als Multiplikatoren für Kampagnen wirkten. In der Praxis haben einige Kulturorganisationen ja bereits den Schritt zum Stakeholder Vorstand vollzogen und festgestellt, dass sich tatsächlich viele neue Menschen von der Arbeit angesprochen fühlen und auch fördernd tätig werden. Das geschieht dann oftmals in geringerem Umfang und führt wiederum dazu, Ehrenamt und Fundraising-Kampagnen auf ganz neue Zielgruppen auszurichten. Aber nicht nur das, auch sog. onboarding-Maßnahmen für neue Vorstandsmitglieder werden detaillierter ausfallen und das Berichtswesen, vor allem der Annual Report, müssen ebenfalls auf andere Zielgruppen ausgerichtet werden.

In Deutschland, wo die Rolle des Vorstands auch, aber weniger stark mit persönlichen Spenden, in der finanziellen Sicherung von Kulturorganisationen liegt, steht vermeintlich einer Diversifizierung von Vorstandsmitgliedern hin zu einem Stakeholder Vorstand weniger im Wege. Trotzdem vollzieht sich die Entwicklung hier deutlich langsamer. Der Druck zum Wandel, der auf amerikanische Kulturorganisationen durch die Große Rezession und die Rassenproteste der letzten Jahre entstanden ist, ist hierzulande noch weniger groß.

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