Mittwoch, 30. November 2022

Arbeitgeber-Marketing im Kulturbetrieb

Der Arbeitsmarkt im Kulturmanagement hat sich nach zweieinhalb Pandemie-Jahren wieder ein bisschen belebt. Gute Neuigkeiten für alle, die sich wieder oder zum ersten Mal bewerben wollen! Aber genau wie das Publikum sich in den letzten Jahren an die Couch ge­wöhnt hat, haben sich viele Arbeitnehmer:innen an das Homeoffice gewöhnt. Dazu werden Kulturbetrie­be mit Ansprüchen potenzieller Arbeitnehmer:innen wie ausgewogener Work-Life-Balance und Nachfragen zu ethischen und nachhaltigen Werten konfrontiert. Wie passt das in den Spiel- oder Ausstellungsbetrieb? Künstler:innen und Kulturmanager:innen arbeiten, wenn andere frei haben. Aber „Gemeinsame Begeiste­rung für die Künste reicht nicht mehr aus“, stellt auch Birgit Mandel fest (Handbuch Kulturmanagement: Beitrag E 3.22).

Maßnahmen, um die Kommunikationslücken zu schließen, bietet das Arbeitgeber-Marketing oder Employer Branding. Um eine Employer-Bran­ding-Strategie erlebbar zu machen, braucht es Kom­munikationsmaßnahmen. Also emotionale Emplo­yer-Branding-Maßnahmen, die es aktuellen und zukünftigen Mitarbeiter:innen ermöglichen, den Be­trieb auf ihrer Employee oder Candidate Journey an allen relevanten Touchpoints zu erleben. Angefangen bei der Karrierewebseite, Stellenanzeigen, Landingpa­ges, einem Slogan, Video- und Bildmaterial, Socia-Me­dia-Postings, Social Recruiting, internen Events, Mit­arbeiterbindungskonzepten, interner Kommunikation und vielem mehr. Auch Beratung zur Verbesserung der Führungs- und Feedbackkultur wirkt sich positiv auf die internen Employer-Branding-Ziele aus.

Ziel von Employer-Branding-Maßnahmen ist es, die Markenbekanntheit, Markensympathie und „Brand Usage“ zu steigern. In der externen Employer-Bran­ding-Kommunikation wird als Markennutzung die Be­werbung verstanden.

Manchmal ist es sinnvoll, sich auf das interne Em­ployer Branding zu konzentrieren. Wenn beispiels­weise die Fluktuation überdurchschnittlich hoch ist oder Umfragen zur Mitarbeiterzufriedenheit Defizite aufzeigen, sind Mitarbeiterbindungskonzepte gefragt. Idealerweise verfolgen Arbeitgeber einen ganzheit­lichen Ansatz: Dazu gehören die Umsetzung interner Employer-Branding-Maßnahmen und strategisches Changemanagement (Organisationskultur, Führungs­kultur, Feedback-, Fehler- und Lernkultur), damit aus der Strategie ein erlebbares Employer Branding wer­den kann.

Was bedeutet das für Kulturbetriebe konkret? Für den Anfang kann das heißen, im Bewerbungsgespräch für die eigene Organisation zu werben, Work-Life-Balance aktiv zu adressieren und Werte und Nachhaltigkeits­themen aus Betriebsperspektive zu erläutern. Mittel­fristig müssen die obengenannten Strategien aber bei den Mitarbeiter*innen ankommen.

Übrigens, ein Blick auf die amerikanischen Kulturin­stitutionen durch die Unternehmensbewertungspor­tale Glassdoor oder Comparably zeigt, wie schlecht die gesamte Kulturbranche in den USA im Vergleich zu anderen Branchen abschneidet. Auch die Interes­senverbände der amerikanischen Museen, Orchester oder Opernhäuser bieten keine Ressourcen für das Employer Branding an. Für das Advisory Board for Arts aus Washington, DC, präsentierte Karen Freeman im September einen Vortrag „Attracting talent: What arts employees want + how orgs can meet those needs” auf LinkedIn (YouTube link) und fand in einer Umfrage heraus, dass Mitarbeiter:innen in Kulturbetrieben die Organisati­onskultur wichtiger als die künstlerische Reputation bewerten.


Mittwoch, 14. September 2022

Audience Development und Kulturpolitik

In seinem Buch Audience Development and Cultural Policy untersucht Steven Hadley den Zugang zu öffentlich geförderter Kultur durch Audience Development Maßnahmen in England. Der moralische Imperativ, Zugang zur öffentlich geförderten Kultur zu sichern, zieht sich durch die gesamte Geschichte des Arts Council. Als Mittel der Zugangssicherung fördert der Arts Council Audience Development Programme. Hadley identifiziert zwei Traditionen im Audience Development, die der Kunstliebhaber und die der sozialen Gerechtigkeit.

Die Tradition des Audience Developments für Kunstliebhaber sieht das Ziel der Publikums-entwicklung in erster Linie darin, die Begeisterung für großartige Werke zu teilen und geschmacksbildend zu wirken (eine Praxis, die in der Hochkultur verwurzelt ist).

Die Tradition der sozialen Gerechtigkeit durch Audience Development ist in den Wertvorstellungen der Teilnehmer:innen stark mit sozialen Vorstellungen wie Gerechtigkeit und Umverteilung verbunden. Daher sind in dieser Tradition die Ergebnisse des Engagements wichtiger als die Kunstform (mit dem Ergebnis, dass Hochkultur als der Popkultur gleichwertig angesehen wird).

Die zweite Tradition hat sich später ausgeprägt und dient dazu, den Zugang zu öffentlich geförderter Kultur gerechter zu gestalten. Diese Zweigleisigkeit zeigte sich auch in meiner Kulturmanagementpraxis in den USA: 

Als Marketingdirektorin beim Cincinnati Symphony Orchester war ich für die Entwicklung des Musikliebhaber Publikums verantwortlich.  Aus Marketingsicht bedeutete das die Entwicklung zahlender Kund:innen durch verschiedene Einstiegs- und Bindungsmaßnahmen. Der Teil soziale Gerechtigkeit der Publikumsentwicklung fand unter Leitung der Diversitätsmanagerin in der pädagogischen Abteilung statt. Es gab keinerlei Überschneidungen unserer Arbeit, keine gemeinsamen Visionen, kein gemeinsames Ziel.

In Anbetracht der minimalen öffentlichen Finanzierung amerikanischer Kulturinstitutionen scheint es interessant, dass dort die Finanzierung durch private Institutionen und Spenden zu dem gleichen Narrativ und den gleichen Rahmenbedingungen geführt hat, in denen Audience Development funktioniert. Hier liegt die Idee Nahe, dass die Verwurzelung vieler Kulturinstitutionen in der europäischen Kultur- und Kulturfinanzierungsgeschichte, den zweigeteilten Ansatz zur Publikumsentwicklung prägt. Solange das Bildungsbürgertum genug Kunstliebhaber produziert, reicht es, geschmacksbildend zu wirken.  Wenn das nicht mehr ausreicht, sollen neue Zielgruppen durch Maßnahmen, die soziale Gerechtigkeit in Bezug auf Zugang zur Kultur versprechen, greifen.

Die Förderprogramme in Deutschland sind eher auf Zugang und weniger auf Nachhaltigkeit (Bindung) ausgerichtet. Publikumsentwicklung ist selten ein Förderkriterium. Audience Development bleibt ein Nachgedanke, nicht zentral für die Mission. Wirkliche Audience Development Strategien (hier sind die Zielgruppen, die wir identifiziert haben, warum diese und so erreichen wir sie) sind in Deutschland selten. Die Bemühungen scheinen vor allem deshalb so gering, weil es keine verbindliche Rechtfertigung oder Berichterstattung an die öffentlichen Förder:innen gibt. Das sieht in den USA deutlich anders aus. Die Nachhaltigkeit von Projekten nicht nur in Bezug auf Finanzierung, sondern auch in Bezug auf Relevanz und Bindung ist groß. Wie ausgeprägt das Feld ist, zeigt sich an einer aktuellen Stellenausschreibung, der Suche nach einem Loyalty Marketing Strategist beim Detroit Symphony Orchestra, eine fortgeschrittene CRM Position innerhalb des Audience Development Teams. 

Steven Hadley glaubt, dass Kulturmarketer besser für ihre Arbeit gerüstet sind, wenn sie ein gutes Verständnis für die Geschichte ihres Berufs und Verständnis für die kulturpolitischen Zusammenhänge hätten. Die Geschichte liegt in Deutschland, England und den USA ganz eng beieinander und wir können viel voneinander lernen.

Der Autor, Dr. Steven Hadley, @maninbelfast, sendet den Leser:innen gerne ein pdf seines Buches zu und steht für Vorträge und Diskussionen zur Verfügung.

Samstag, 6. August 2022

Die Rolle der Künstler:innen post-Covid: Momente, die wie Blitzeinschläge sind

Es ist Sommerpause - wer kann, reist in die Sonne, an die See oder auf einen grünen Hügel. Viele Musiker:innen sind jetzt für ihre Herzensprojekte unterwegs - mit Freund:innen gemeinsam bei  internationalen Festivals spielen. Freunde, Reisen, gute Musik und die lauen Sommernächte - was gibt es Schöneres?

In den letzten Monaten habe ich viel über die Bemühungen von Kulturmanager:innen international geschrieben, was wir während der Schließung und nach der Wiederöffnung der Säle machen sollen, um unter unsicheren Bedingungen einen neuen Kulturalltag zu gestalten. Die Perspektive der Künstler:innen, die insbesondere im Lockdown mit großer Kreativität neue Formate und Inhalte geschaffen haben, habe ich vernachlässigt. Dabei bin ich selbstverständlich der Meinung, dass erfolgreiches Kulturmanagement weiterhin nur in einem gemeinsamen Gestaltungsprozess von künstlerischem Personal und Verwaltung stattfinden kann. 

Jan Vogler, Leiter der Dresdner Musikfestspiele und des Moritzburg Festivals, hat zur Rolle der Künstler:innen post-Covid einen großartigen Denkanstoß am 5.8.2022 in der Sächsischen Zeitung gegeben: "Die Pandemie hat uns Künstler gequält - und wachgerüttelt. Denn wir hatten uns daran gewöhnt, klassische Musik perfekt zu spielen. Es geht aber nicht um den perfekten Abend. Der muss jedoch außergewöhnlich sein - wenigstens für Momente, die wie Blitzeinschläge sind. Um so zu überzeugen, brauchen wir Interpreten enorme Energie, Enthusiasmus und emotionales Engagement." 

Das sind genau die Schlagworte, die ich versucht habe, in den letzten Monaten, mit dem Marketing-Ansatz der Lovemarks herauszuarbeiten. Jan Voglers Aussage trifft genau die Publikumserwartung: Wir brauchen Blitzeinschläge, um die Couch-Lethargie zu überwinden. Bringen wir also gemeinsam ganz viele Gewitter auf den Weg!

Mittwoch, 6. Juli 2022

Kulturkommunikation post-Covid: Inhaltliche Kernaussagen für die Kultur

In meinem letzten Beitrag stellte ich fest, dass wir Kulturmanger:innen für unser Publikum post-Covid sorgsam den Übergang von der Couch in den Kulturbetrieb gestalten müssen. In der Vergangenheit war für Kulturmarken das Konzept der Lovemarks hilfreich: Ein stark emotional belegtes Kulturmarken Image, das Loyalität über die Vernunft hinaus schafft, weit mehr, als es mit einem einfachen Preis-Leistungsverhältnis zu begründen wäre.

Mein Eindruck ist, dass wir in unserem von der Pandemie und dem Krieg in Europa geprägten Alltag emotional erschöpft sind und nicht mehr die ganz großen Gefühle und Geschichten suchen. Vielleicht könnten wir in der Kultur das Narrativ dahin gehend verändern, die Frage nach der Relevanz oder dem Luxus von Kultur in der Markendarstellung zu adressieren. In diesen Krisenjahren geht es schnell um die Grundbedürfnisse der Menschen gegen die Kunst und Kultur als Luxusgut. Aber die menschliche Blüte, wie sie sich im kreativen Prozess, in der Kunst und Kultur zeigt, drückt Hoffnung aus über den menschlichen Zustand und wer wir als Menschen sind. Als Kulturschaffende müssen wir beweisen, dass mit dem Kulturerlebnis genauso essentielle humanitäre Bedürfnisse wie z.B. Hoffnung und Gemeinschaft befriedigt werden. Denn was in dieser Zeit Spaß macht, ist die Kunst mit ihrer durchaus therapeutischen Qualität. 

Donnerstag, 30. Juni 2022

Kulturmarketing: Wie wir jetzt den Übergang gestalten

"I feel like there is a growing trend on a local level toward 
valuing sense of welcome, especially post-Covid."
                                                                                                                                     Joe Patti

Seitdem die Covid-19 bezogenen Restriktionen im öffentlichen Leben schrittweise aufgehoben werden, stehen Kulturinstitutionen mit offenen Armen da, um die Besucher:innen wieder zu begrüßen. Aber statt, dass die Besucherströme vielerorts wieder fließen, plätschern sie so leise dahin. Die größte Konkurrenz für die Kultur scheint dieser Tage die Couch zu sein. Darin sind sich Kulturmanager:innen in den USA und Deutschland einig. Die amerikanischen Kulturmanager:innen Colleen Dilenschneider, Drew McManus und Joe Patti stellen in ihren Blogs unabhängig voneinander fest: Die Besucher:innen wollen aber wieder kommen!

Die Aufgabe für Kulturmanager:innen ist jetzt, den Übergang für das Publikum von der Couch in den Kulturbetrieb zu gestalten. Und nach meinem Eindruck muss grundlegende Überzeugungsarbeit geleistet werden. Bei vielen Kulturteilnehmer:innen scheint sich ein Gefühl eingeschlichen zu haben, bzw. in den letzten beiden Jahren ein Verhalten gefestigt zu haben, dass es mit den digitalen Angeboten ja auch ganz ok war. Das betrifft nicht die Abonennt:innen, die sich nach zwei Jahren Covid-19 im Foyer in die Arme fallen, sondern der großen Mitte. Mit großem Nachdruck, und eigentlich mit großen Werbekampagnen, müssen die Besucher:innen überzeugt werden, warum sich die analoge Teilnahme an der Kultur lohnt.

Das Verständnis von Kulturmarken als sogenannten Lovemarks kann hier wegweisend sein. Für das stark emotional belegte Image von Kulturmarken müssen entsprechende Markenauftritte gestaltet werden. Das gemeinsame Erleben eines erhebenden Moments, muss in Worten, Bildern und mit großen Emotionen betont werden. Und tatsächlich werden viele Besucher:innen auch noch ein bisschen Zeit brauchen, um den Weg in die Kulturinstitutionen wieder zurück zu finden. Deshalb gilt es, digitale Formate weiterzuführen, Sicherheitsmaßnahmen weiterhin zu kommunizieren und die Diskussion um die Relevanz von Kultur vehement aufrecht zu erhalten. 

Montag, 9. Mai 2022

Fundraising is Friendraising

Zwei fundamentale Merksätze im Fundraising lauten: People Give to People und Fundraising is Friendraising. Beide Sätze heben die Bedeutung der persönlichen Verbindung zwischen Fundraiser:innen als Vertreter:innen der gemeinnützigen Organisation und den Gebenden hervor und verorten Fundraising im Beziehungsmarketing.

Die Frage, die sich bei zunehmender Relevanz von online Fundraising jeglicher Art stellt, lautet: Behalten diese Merksätze, die die menschlichen Beziehungen in den Mittelpunkt des Austausches rücken, dieselbe Bedeutung, auch wenn wir uns möglicherweise nur noch virtuell begegnen?

Wissenschaftler:innen der Indiana University Lilly Family School of Philanthropy haben im Januar 2022 einen mehrteiligen Bericht mit dem Titel The Giving Environment: Understanding Drivers for Donor Engagement veröffentlicht. Dazu sind mehrere zusammenfassende Infographiken entstanden. Unter dem Titel Who Gives, to What, and Why? werden die Nutznießer von Crowdfunding-Kampagnen aufgelistet:

Crowdfunding Engagement 2019 für

Familie oder Freunde                                                                    52,5%

Eine gemeinnützige Organisation                                                 47,1%

Freunde von Freunden oder Bekannte                                          32,8%

Fremde                                                                                          29,3%

Ein Projekt ohne finanziellen Gewinn                                          13,6%

Ein gewinnorientiertes Unternehmen mit finanziellem Gewinn    4,0%

Ein gewinnorientiertes Unternehmen mit Anteilserwerb               2,8%

Andere                                                                                            5,6%   

Aus dieser Übersicht geht einerseits hervor, dass Bekanntheit und Vertrauen für Gebende die größte Rolle spielen und andererseits Investitionen über das Instrument Crowdfunding in gewinnorientierte Unternehmen mit einem finanziellen Vorteil für die Gebenden nachgeordnete Zwecke sind. Hier ist der gemeinnützige Sektor klar im Vorteil.

Eine zweite Übersicht führt zu ergänzenden Erkenntnissen:

Anteil von $ im Crowdfunding und Social Media Engagement 2019 für

Familie oder Freunde                                                                   41,6%

Eine gemeinnützige Organisation                                                 22,1%

Freunde von Freunden oder Bekannte                                          10,8%

Ein gewinnorientiertes Unternehmen mit finanziellem Gewinn   10,3%

Fremde                                                                                             5,2%

Andere                                                                                             5,2%

Ein gewinnorientiertes Unternehmen mit Anteilserwerb                2,5%

Ein Projekt ohne finanziellen Gewinn                                            2,2%

Aus dieser Übersicht geht hervor, dass auch die Spendensummen für Familie, Freunde, gemeinnützige Organisationen und Bekannte die Tabelle anführen. Je direkter die emotionale oder finanzielle Investition in einen Menschen oder ein Projekt, desto erfolgsversprechender die Kampagne.

Aus diesen Übersichten für das Crowdfunding und Social Media Engagement lässt sich ableiten, dass gemeinnützige Organisationen (und das schließt ja die allermeisten Kulturinstitutionen in Deutschland ein) im Verhältnis zwischen Familie und Bekannten rangieren. Das spricht einerseits für die großartige Kommunikation die im gemeinnützigen Sektor vielerorts bereits geleistet wird und zeigt ebenfalls, auf welcher persönlich emotionalen Ebene Fundraising-Kommunikation ansetzen muss.

Wie hier am Beispiel des Crowdfunding und Social Media Engagements aufgezeigt wurde, bleibt auch für das online Fundraising also aktuell: Die persönliche Beziehungspflege steht weiterhin im Mittelpunkt der Fundraising Aktivitäten.

Montag, 21. März 2022

Neue Aspekte im Besucherverhalten

Seit über 20 Jahren führe ich Menschen durch Museen hauptsächlich in den USA und Deutschland. Noch nie habe ich so einen so großen Wandel im Besucherverhalten wie jetzt während der Pandemie erlebt. Nach Monaten in der Abgeschiedenheit, in der jeder seinen oftmals sehr spezifischen eigenen Interessen zu Hause und online nachgehen konnte, wissen die Besucher:innen scheinbar sehr viel genauer, was sie von einem Ausstellungsbesuch erwarten und artikulieren dies auch deutlich.

An Thanksgiving war ich im Art Institute in Chicago. Und da waren sie, die Instagram-Mädchen: rein in die zeitgenössische Abteilung für ein Foto mit einer Skulptur und schnell wieder raus. Zurück in Deutschland hat mich zum ersten Mal eine Rentnergruppe vor dem Ausstellungsbesuch angerufen: Bei Nolde bitte nichts Politisches! Wir wollen die Kunst genießen! Führe ich Student:innen durch dieselbe Ausstellung: Bitte unbedingt die politische Vergangenheit von Nolde erläutern, sonst hat der Künstler für uns wenig Relevanz!

Es ist kein Wunder, dass die Interessen und Ansprüche an ein Kulturerlebnis immer individueller werden. Unser digitales Leben ist durch Zielgruppen spezifische Kommunikation geprägt, für jedes Nischeninteresse gibt es eine online Community. Diese unverzögerte und individualisierte Ansprache, diese Zugehörigkeit suchen wir dann auch offline wieder. Nicht nur in der Kommunikation, auch in den Erlebnissen, die uns präsentiert werden.

Um den Spagat zwischen den verschiedenen Interessensgruppen zu schaffen ist es nicht nur nötig, vielfältige Angebote zu präsentieren, sondern vor allem sich als Institution eindeutig zu positionieren und Ziele klar zu kommunizieren. Die Spanne reicht vom Ansatz, die Besucher:innen willentlich sich selbst zu überlassen. Die Beschilderung wird auf minimale Informationen reduziert und Erläuterungen zugunsten eines von den Besucher:innen selbstbestimmten Erkenntnisgewinns weggelassen (z.B. Glenstone (Museum), Potomac, MD). Aber auch dahinter verbirgt sich eine Absicht, die nicht frei von der Sammlungsgeschichte oder der Zusammenstellung der Werke ist. Sollte der Kontext mit Blick auf Bildung, Zugang und Transparenz nicht erläutert werden? Auf der anderen Seite steht eine Didaktik, die z.B. durch geführte Besuchserlebnisse auf eine bestimmte Erkenntnis abzielt, die als die Richtige gilt. Dazwischen gibt es eine Bandbreite von Besuchserlebnissen, die sich ehrlich um die Einbindung der Besucher:innen bemühen. Tatsächlich kann alles glaubhaft in derselben Institution stattfinden, wenn es klar kommuniziert wird.

Nach meinem Eindruck kommen die Besucher:innen nicht nur wieder zu Ausstellungen, Konzerten und Aufführungen, um die Aura der Werke zu erfahren, die sich im Zeitalter der Reproduktion nicht immer gut auf den eigenen Bildschirm übersetzen lässt, sondern vor allem auch um ein soziales Erlebnis zu erfahren. Und dieses lässt sich nicht nur in einem Miteinander im Raum sondern vor allem auch über einen Diskurs, den wir als Kulturmanager:innen lebendig gestalten, erleben.

Und einen Diskurs braucht es dringend. Das erleben wir aktuell in Deutschland und ebenso in den USA. Welches Vertrauen dabei in Museen gesetzt wird, zeigt der Wunsch aus den USA, Kindertagesstätten an Museen anzugliedern, um früh Werte von partizipativer Demokratie und Kultur zu vermitteln.