Mittwoch, 14. September 2022

Audience Development und Kulturpolitik

In seinem Buch Audience Development and Cultural Policy untersucht Steven Hadley den Zugang zu öffentlich geförderter Kultur durch Audience Development Maßnahmen in England. Der moralische Imperativ, Zugang zur öffentlich geförderten Kultur zu sichern, zieht sich durch die gesamte Geschichte des Arts Council. Als Mittel der Zugangssicherung fördert der Arts Council Audience Development Programme. Hadley identifiziert zwei Traditionen im Audience Development, die der Kunstliebhaber und die der sozialen Gerechtigkeit.

Die Tradition des Audience Developments für Kunstliebhaber sieht das Ziel der Publikums-entwicklung in erster Linie darin, die Begeisterung für großartige Werke zu teilen und geschmacksbildend zu wirken (eine Praxis, die in der Hochkultur verwurzelt ist).

Die Tradition der sozialen Gerechtigkeit durch Audience Development ist in den Wertvorstellungen der Teilnehmer:innen stark mit sozialen Vorstellungen wie Gerechtigkeit und Umverteilung verbunden. Daher sind in dieser Tradition die Ergebnisse des Engagements wichtiger als die Kunstform (mit dem Ergebnis, dass Hochkultur als der Popkultur gleichwertig angesehen wird).

Die zweite Tradition hat sich später ausgeprägt und dient dazu, den Zugang zu öffentlich geförderter Kultur gerechter zu gestalten. Diese Zweigleisigkeit zeigte sich auch in meiner Kulturmanagementpraxis in den USA: 

Als Marketingdirektorin beim Cincinnati Symphony Orchester war ich für die Entwicklung des Musikliebhaber Publikums verantwortlich.  Aus Marketingsicht bedeutete das die Entwicklung zahlender Kund:innen durch verschiedene Einstiegs- und Bindungsmaßnahmen. Der Teil soziale Gerechtigkeit der Publikumsentwicklung fand unter Leitung der Diversitätsmanagerin in der pädagogischen Abteilung statt. Es gab keinerlei Überschneidungen unserer Arbeit, keine gemeinsamen Visionen, kein gemeinsames Ziel.

In Anbetracht der minimalen öffentlichen Finanzierung amerikanischer Kulturinstitutionen scheint es interessant, dass dort die Finanzierung durch private Institutionen und Spenden zu dem gleichen Narrativ und den gleichen Rahmenbedingungen geführt hat, in denen Audience Development funktioniert. Hier liegt die Idee Nahe, dass die Verwurzelung vieler Kulturinstitutionen in der europäischen Kultur- und Kulturfinanzierungsgeschichte, den zweigeteilten Ansatz zur Publikumsentwicklung prägt. Solange das Bildungsbürgertum genug Kunstliebhaber produziert, reicht es, geschmacksbildend zu wirken.  Wenn das nicht mehr ausreicht, sollen neue Zielgruppen durch Maßnahmen, die soziale Gerechtigkeit in Bezug auf Zugang zur Kultur versprechen, greifen.

Die Förderprogramme in Deutschland sind eher auf Zugang und weniger auf Nachhaltigkeit (Bindung) ausgerichtet. Publikumsentwicklung ist selten ein Förderkriterium. Audience Development bleibt ein Nachgedanke, nicht zentral für die Mission. Wirkliche Audience Development Strategien (hier sind die Zielgruppen, die wir identifiziert haben, warum diese und so erreichen wir sie) sind in Deutschland selten. Die Bemühungen scheinen vor allem deshalb so gering, weil es keine verbindliche Rechtfertigung oder Berichterstattung an die öffentlichen Förder:innen gibt. Das sieht in den USA deutlich anders aus. Die Nachhaltigkeit von Projekten nicht nur in Bezug auf Finanzierung, sondern auch in Bezug auf Relevanz und Bindung ist groß. Wie ausgeprägt das Feld ist, zeigt sich an einer aktuellen Stellenausschreibung, der Suche nach einem Loyalty Marketing Strategist beim Detroit Symphony Orchestra, eine fortgeschrittene CRM Position innerhalb des Audience Development Teams. 

Steven Hadley glaubt, dass Kulturmarketer besser für ihre Arbeit gerüstet sind, wenn sie ein gutes Verständnis für die Geschichte ihres Berufs und Verständnis für die kulturpolitischen Zusammenhänge hätten. Die Geschichte liegt in Deutschland, England und den USA ganz eng beieinander und wir können viel voneinander lernen.

Der Autor, Dr. Steven Hadley, @maninbelfast, sendet den Leser:innen gerne ein pdf seines Buches zu und steht für Vorträge und Diskussionen zur Verfügung.