Seitdem ich vor wenigen Jahren einen Job in einem großen
deutschen Opernhaus abgelehnt habe, weil dort Marketing als PR missbraucht
wurde und die wichtigste Aufgabe der Marketingleitung allein die
Saisonbroschüre war, liegt mir am Herzen, einmal über die Saisonbroschüre zu
schreiben. Was mir wieder und wieder auffällt, wenn ich an verschiedenen Orten
Theater-, Opern- oder Konzertprogramme aufschlage, ist die offensichtliche
Differenz zwischen dem Selbstverständnis der Häuser und ihren Zielgruppen. Sind
Kierkegaard und Adorno tatsächlich die besten Zitatgeber, um ein neues, junges
Publikum anzusprechen, wie es sich so viele Häuser wünschen?
Aus meiner eigenen Marketingpraxis kenne ich das
alljährliche Gerangel um die Platzierung der Fotos von Dirigenten und Solisten
in der Saisonbroschüre, das von Marketingleuten, dem künstlerischen
Betriebsbüro, Künstlern und Agenten ausgefochten wird. Ein amerikanischer Kollege hat die größten Fauxpas zusammengefasst, die man aus der Marketingperspektive
machen kann und die ich hier erläutern möchte:
1.
Broschüren mit großer Seitenzahl an deren Design
und „Jetzt abonnieren!“ –Aufrufen sich seit den 70ger Jahren nichts geändert
hat. Wer ein junges Publikum begeistern möchte, sollte von Marketing-Messages
absehen, die vor der Geburt dieser Zielgruppe entworfen wurden.
2.
Der stabschwingende Dirigent auf dem Coverfoto.
Meist einer von vielen ähnlichen Shots, die über die gesamte Brochüre verteilt
sind. Aber, in den allerwenigsten Fällen hat der Dirigent tatsächliche eine
große Marketing-Strahlkraft. Dirigenten, die das Marketing-Material ihrer
Häuser zum weiteren Karriereboost missbrauchen und den Mitarbeitern erlauben,
sich durch eine größtmögliche Anzahl von Fotoplatzierungen einzuschmeicheln,
sind Teil des Problems.
3.
Bilder von allem Anderen als den Zielgruppen.
Die effektivste Methode Kunden von einem Produkt zu überzeugen, ist diese bei
dem Genuss des Produktes zu zeigen. Also, die Anzahl der Fotos des Dirigenten
von 10 auf 1 verringern und den frei gewordenen Platz mit Fotos der Zielgruppen
füllen, die Sie gerne in ihrem Haus sehen möchten.
4.
Bullshit. Die Kunstsprache vieler Brochüren und
Rezensionen ist peinlich (wie uns das Magazin "Der Spiegel"
regelmäßig in der Rubrik "Hohlspiegel" vor Augen führt). Der
intellektuelle Anspruch, der hier zu wahren versucht wird, kommt oftmals
weniger den Kontext erhellend als einfach nur arrogant rüber. Kann es eine
Mischung von Texten und Stilen geben, die sowohl neues als auch altes Publikum
anspricht?
5.
Allzu Formales. Ja, das Konzert-Erlebnis
funktioniert immer noch nach gewissen Ritualen. Von Kleidung bis Klatschen,
vieles verunsichert die Neulinge. Also, vielleicht weniger von den Musikern im
Frack und mehr von dem sozialen Erlebnis der Besucher abbilden.
6.
Joshua Bell. Wen kümmert der Name des Solisten
wirklich? Viele Ihrer Stammkunden, aber ausserhalb dieses kleinen Zirkels sehr
Wenige. Es ist wert, sich mit Erläuterungen in der Brochüre auf ausgesuchte
Solisten und Dirigenten zu konzentrieren. Versuchen Sie keine enzyklopädische
Darstellung ihrer Saison. Nutzen Sie den gewonnenen Platz lieber, um den Kunden
einmal mehr zu erklären, warum sie – unabhängig vom Programm – wiederkommen
sollten.
7.
Zu viel Anderes. Die Saisonbroschüre ist ein
Verkaufsinstrument. Doch oftmals mischen sich hier die Verkaufsbotschaften mit
den anderen Zielen der Häuser. Braucht es tatsächlich das Vorwort des
Intendanten, die Darstellung der tollen pädagogischen Programme, welcher
Komponist welcher Inspiration gefolgt ist, wer zur Gala gekommen ist und warum
noch mehr Spendengelder gebraucht werden, um Karten zu verkaufen? Vielleicht
sind diese Botschaften besser in einem Newsletter (Stichwort: dynamischer
Inhalt, der verschiedenen Zeilgruppen gerecht wird) unterzubringen.
Einen sichtbaren Unterschied gibt es zwischen den
amerikanischen und den deutschen Saisonbroschüren. Die deutschen Broschüren
sind oftmals um ein zehnfaches dicker. Es gibt mehr Grafik, mehr Informationen
(die dann übrigens in den einzelnen Programmheften wiederholt werden). Um
Kosten zu sparen sind die amerikanischen Broschüren von geringerer Seitenzahl.
Dass durch den kleineren Umfang weniger Karten verkauft werden, ist mir
unbekannt.