Mittwoch, 16. Oktober 2013

Datenanalyse: Erkenntnisse aus der Anwendung eines Verkaufs-Vorhersagemodells im Orchesterbetrieb

Vor kurzem habe ich einen Leitartikel für den Raabe Kulturmanagement-Newsletter zum Thema Datenanalyse geschrieben. Als Beispiel habe ich ein Verkaufs-Vorhersagemodell angeführt, das wir in der Marketingabteilung basierend auf 10 Jahren Kundendaten für das Cincinnati Symphony Orchester (CSO) entworfen haben. Abschließend hatte ich angekündigt, einige Erkenntnisse aus der Anwendung auf diesem Blog zu veröffentlichen.
Das Modell basiert auf der Annahme einer durchschnittlichen Saalauslastung, die von etwa 40 Faktoren positiv oder negativ beeinflusst wird. Programm, Solist und Dirigent (in dieser Reihenfolge) führen die Liste der Variablen an. Die allermeisten Faktoren, die Einfluss auf die Auslastung und den Kartenverkauf haben sind jedoch unabhängig von dem eigentlichen Ereignis auf der Bühne wie z.B. Wochentag, Tageszeit, Jahreszeit, Wetterlage, Speisenangebot im Foyer und die Parkplatzsituation.
Nach meiner Erfahrung herrscht insbesondere beim künstlerischen Personal die Befürchtung, dass ein solches Modell vor allem als Legitimationsmittel dienen könnte, Einfluss auf die künstlerische Planung zu nehmen. Da die Mehrzahl der Faktoren wie beschrieben unabhängig vom Programm ist, gibt es jedoch Vieles, was aus Marketingperspektive optimiert werden kann, bevor die heilige Kuh angetastet wird.
In dem Modell haben alle Faktoren einen Wert, je nachdem ob sie in der Vergangenheit die Auslastung positiv, negativ oder neutral beeinflusst haben. Das heißt, ja, auch Personen werden unterschiedlich bewertet. Ein Überraschungsmoment bei der genaueren Betrachtung der Faktoren war, dass Werke des Komponisten Beethoven scheinbar negativen Einfluss auf die Auslastung hatten. Kaum vorstellbar! Wir stellten schnell fest, dass Beethoven vor allem dann im Programm auftauchte, wenn die anderen Stücke zeitgenössisch oder Uraufführungen waren. Beethovens Musik wurde sozusagen als Wiedergutmacher programmiert, konnte den negativen Trend der zeitgenössischen Musik aber nicht ausgleichen. Wir stellten auch fest, dass der Komponist Schostakowitsch deutlich positiven Einfluss auf die Auslastung hatte. Dies ist eindeutig der Verdienst des ehemaligen Musikdirektors, Paavo Järvi, der das Publikum über eine Dekade meisterhaft an die Musik Schostakowitschs heranführte. Es gibt andere amerikanische Orchester, die gar keinen Schostakowitsch spielen. Die Bewertung dürfte dort anders ausfallen.
Der Zeit-Faktor spielt eine große Rolle. Nicht nur Tageszeit und Wochentag auch ob ein Programm früh (Trend negativ) oder später (Trend positiv) in der Saison stattfindet ist relevant. Öffentliche Verkehrsmittel spielen für den Konzertbesuch in Cincinnati keine Rolle (nicht genügend ausgebaut). Jeder muss sich also in sein Auto setzen, um den Konzertsaal zu erreichen. Wenn es dunkel ist, oder das Wetter schlecht ist, kommen weniger Zuhörer. Der Winter in Cincinnati ist oft harsch. Im Schnitt muss alle zwei Jahre im Februar ein Konzert wegen des Wetters gecancelt werden. Auch das geht in die Historie ein.
Festzuhalten ist, dass die Faktoren im Kontext betrachtet werden müssen. Sie bedingen einander und selten bringt die Justierung eines Faktors den großen Wandel. Aber jeder Faktor  ist mit einer Zahl verknüpft, die sich genau bestimmen lässt und so eine bessere Planung ermöglicht. Des weiteren ergeben sich die Faktoren aus der Analyse von lokalen Kundendaten. Wetter, Verkehrslage, Werbemöglichkeiten und Programmpräferenzen des Publikums lassen sich nicht auf andere Märkte übertragen. Rückblickend stelle ich fest, dass die Vorhersage nicht nur sehr genau war, sondern dass die Abwägung der Faktoren gegen- und miteinander ein tolles Planungsinstrument ist.

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