Das Ende des Mostly Mozart Festivals, das Kulturkritiker Alex Ross in seinem neuesten Artikel „Requiem for Mostly Mozart“ im New Yorker beschreibt, zeigt die großen Herausforderungen, denen sich Kulturmanager:innen heute stellen müssen. Dem Elitismus der klassischen Musik zugunsten dem unbekannten Neuen abdanken, das gilt an diesem Beispiel inhaltlich sowie organisatorisch. Und nach Meinung von Alex Ross wird in New York mit den besten Intentionen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Die
Organisatoren des Festivals, der Lincoln Center for the Performing Arts Präsident
und CEO, Henry Timms, und die künstlerische Leiterin, Shanta Thake, wollen mit
der Neuausrichtung des Festivals gleichzeitig die Vergangenheit aufarbeiten und
Zukunft gestalten. Den modernen Fassaden des Lincoln Centers mussten Ende der
50er Jahre die mehrheitlich puertorikanischen, afrokaribischen und
afroamerikanischen Bewohner des Viertels weichen. In den neuen Gebäuden wurden
u.a. die Metropolitan Opera, die New Yorker Philharmoniker, das New York City
Ballet und die Juilliard School ansässig – eine klare Ansage, welche Kultur
dominiert und welches Publikum bevorzugt wurde. Unter dem Titel „Summer in the
City“ wurde jetzt ein neues Festival ins Leben gerufen, das zeitgenössische
Kunstformen für ein viel breiteres Publikum in den Mittelpunkt rückt. Auf dem
Programm stehen Hip-Hop, das Criminal Queerness Festival, die Serie Cultivating
Access Ecologies, Korean Arts Week, social sculpture interventions, der Big
Umbrella Day mit einem Programm für neurodiverses Publikum, Standup Comedy,
Computerspiele, Kopfhörer Parties und eine LGBTQIA+ Mariachi Band. Vom „Mostly
Mozart“ Festival, das einst 7 Wochen andauerte, blieben 13 Konzerte in 3
Wochen. Ab 2024 sollen die klassischen Konzerte mit einem neuen Musikdirektor
und mit neuem Namen weiterhin in das „Summer in the City“ integriert sein.
Das Festival
Orchester, ursprünglich geschaffen, um freiberuflichen New Yorker Musiker:innen
eine Sommerbeschäftigung zu verschaffen, bleibt bestehen. Inzwischen spielen
dort Musiker:innen der namhaftesten amerikanischen Orchester, der Metropolitan
Opera, dem New York Philharmonic, Orpheus Chamber Orchestra, Pittsburgh, St.
Louis und Cincinnati Symphony Orchestra. Dieses Wachstum lässt sich seit der
Gründung im Jahr 1966 auch in den anderen künstlerischen Bereichen und dem
Management verfolgen. Und das bringt ein entsprechendes Budget, organisatorischen
Aufwand und Verantwortung mit sich. Warum dies alles für eine Zielgruppe
aufwenden? Die strategische Antwort lautet: Kernprodukt verschlanken und
diversifizieren. Mit dieser Strategie geht New York voran und setzt
gesellschaftspolitische Themen wie Vielfalt, Teilhabe, Zugang und kulturelleGerechtigkeit um.
Als Leitidee
für die Neugestaltung des Festivals, dienten folgende Fragen, wie Shanta Thake
der New York Times mitteilte: „Was haben wir ausgelassen? Welche Geschichten
erzählen wir nicht, die in diesem Moment erzählt werden wollen?“ Die Antwort in
diesem Jahr ist die kulturelle Repräsentation aller erdenklicher Gruppen, die
bisher ausgelassen wurden sowie Themen, die z.Zt. einen unglaublichen Hype
erfahren. Was mir auf den ersten Blick fehlt, ist der künstlerische Fokus in
einem Programm, das sich nach „Alles für Alle“ liest. Selbst das Stiefkind
„Mostly Mozart“ wurde noch integriert. Kann man all diesen Gruppen und Themen,
die in der Tat viel Aufmerksamkeit verdienen, gerecht werden? Und funktioniert
das neue Programm im Lincoln Center, der dezidierten Stätte
europäisch-stämmiger Hochkultur? In seinem Artikel kommentiert Alex Ross: „Wenn
die Menschen einen Ausflug zur Ecke Broadway und 65. Straße machen, suchen sie
sicherlich nicht nach einer unbeholfenen Umsetzung von Kulturen, die anderswo
in der Stadt in authentischerer Form existieren.“
Noch ist der
Abschied vom Mostly Mozart Festival halbherzig. Das teure Orchester bleibt, ein
neuer Musikdirektor wurde rasch gefunden. Versuchshalber wurden „Pay what you
can“-Eintrittspreise ins Leben gerufen, Preisempfehlung 35 Dollar. Das klingt
für neues Publikum nicht wirklich günstig und wenn man den kleinsten Preis
bezahlt (5 Dollar), fühlt man sich schlecht.
Die
Neuausrichtung des Festivals ist ein Versuch, vielleicht in diesem Jahr noch zu
sehr ein Kompromiss. Aber so ist das, wenn aus dem Alten das Neue hervortreten
soll. Bei Kultureller Führung, so Graham Leicester, geht es weniger ums Führen,
sondern mehr um die Führung von Kultur, die kreative Überschreitung der
vorherrschenden Kultur. Und das braucht kreative Grenzüberschreitungen und
Langzeit Perspektiven.
Anders als
Alex Ross, der als Kulturkritiker den Untergang seines Betrachtungsgegenstands
beobachtet, glaube ich, dass hier ein mutiger und richtiger Weg eingeschlagen
wurde, so dass Vielfalt, Teilhabe, Zugang und kulturelle Gerechtigkeit umgesetzt
werden können. Ich bin an der Langzeit Perspektive dieses Festivals, das zentrale
Themen unserer Zeit umsetzt, vor allem aber an seinem Erfolg interessiert. Die
klassischen Konzerte werden innerhalb des Festivals eine kleinere Rolle spielen
und ich finde, das darf so sein.
P.S. Eine in diesem Zusammenhang interessante Kulturmanagement Personalie: Louis Langrée, Leiter des Mostly Mozart Festivals, verlässt nach 20 Jahren das Festival und nach 11 Jahren das Cincinnati Symphony Orchestra und wechselt von einer künstlerischen zu einer Kulturmanagement Position als Leiter der Opéra Comique nach Paris. Wie dieser Wechsel gelingt, davon werde ich berichten.